2408 - Krieg der Prozessoren
lässt nicht gerade darauf schließen, dass du anders denkst und den Avataren vertraust."
An dieser Stelle war wohl eine diplomatische Antwort angebracht. „Ich erkenne ihre Existenzberechtigung und die Notwendigkeit ihres Daseins an."
Astuin und Myhr waren Teile der Parapositronik, quasilebendige Abbilder von zwei der ersten Prozessoren, deren menschliches Bewusstsein in der Mensch-Maschine-Kreuzung aufgegangen und Teil des gigantischen Rechenwerkes der Hyperdim-Matrix geworden war. Die beiden wirkten wie das Klischee eines Spions mit ihren schwarzen Anzügen und der Angewohnheit, überall da aufzutauchen, wo sie nach Meinung anderer nichts zu suchen hatten. ESCHER projizierte sie als Handlungskörper, quasi als seine stofflichen verlängerten Arme. Warum sie unablässig durch das Schiff streiften, wusste niemand.
„Du erkennst sie an", wiederholte Indica. „Da gehörst du zu den wenigen. Der Großteil der Besatzung steht den Avataren mit instinktiver Feindseligkeit gegenüber. Vor ESCHER als Ganzem wiederum haben viele, um es beim Namen zu nennen, Angst."
„Was denkst du? Ist diese Angst berechtigt?"
Dr. Indica blieb stehen und wies auf das Schott, das den Eingang zu Savoires Quartier bildete. „Lass uns darüber mit dem Ersten Kybernetiker sprechen. Das ist schließlich seine Aufgabe, nicht wahr? ESCHERS Sprachrohr zu sein. Wir werden sehen, was er zu den Vorwürfen zu sagen hat."
*
Sein einziges Auge blickte mich überrascht an, als er per Sprachbefehl das Schott öffnete und es zur Seite zischte. Dr. Laurence Savoire, von einigen Witzbolden wenig schmeichelhaft Zyklop genannt, saß in einem Kontursessel in der Mitte seines Quartiers, der ebenso wuchtig wie bequem aussah.
Savoire war ein unbekannter Wissenschaftler vom Planeten Diakat gewesen, ehe er im ESCHER-Gebäude in Terrania als Teil des geheimen Forschungsprojekts zur Entwicklung der Parapositronik Karriere machte.
„Atlan", begrüßte er mich, vergaß jedoch auch meine Begleiterin nicht. „Dr. Indica! Kommt herein." Er stand auf, sah jedoch nicht sonderlich erfreut aus über die Störung.
Meine Begleiterin ging selbstbewusst vor, ich folgte ihr. Savoire schob den großen Sessel zur Seitenwand und bot uns Plätze an dem kleinen Tisch an, den er ins Zentrum des Raumes rückte.
In der Privatkabine des Ersten Kybernetikers war ich bislang noch nicht gewesen und ließ deshalb unauffällig den Blick schweifen. Der Raum war schmucklos und nüchtern eingerichtet, wenn man von zwei holografischen Darstellungen absah. Die erste zeigte einen Planeten vor dem Hintergrund seiner Sonne, die zweite einen großen Gebäudekomplex, den ich sofort erkannte: den ehemaligen ESCHER-Turm in der Thora Road, dessen wesentliche Bestandteile inzwischen in der BURTON durchs All rasten.
Ich wies auf das Abbild des Planeten. „Eine geschmackvolle Aufnahme.
Ich vermute, es handelt sich um deine Heimat Diakat?"
Er schloss kurz das Auge. „Selbst wenn ich lange nicht dort war, fühle ich mich diesem Planeten verbunden.
Er ist meine Heimat, der einzige Platz, an dem ich nicht wie ein Fremder angesehen werde. Aber ihr seid sicherlich nicht gekommen, um über meine Heimat oder über mein Zyklopenauge zu sprechen. Also?"
Dr. Indica stützte sich auf die Tischplatte und schaffte es mit dieser Geste, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „In gewissem Sinn sind wir exakt deswegen gekommen. Denn warum werfen dir Besatzungsmitglieder schräge Blicke zu? Doch nur deswegen, weil sie nichts Besseres zu tun haben. Gewiss, jeder hat seine Aufgaben, wartet die Technik, kocht das Essen, kümmert sich um seinen Job – aber das alles ist Routine, und jeder weiß, dass dieses langweilige Allerlei rund zwei weitere Monate andauern wird, bis wir die Grenzen von Hangay erreichen. Und was tun Raumfahrer für gewöhnlich, wenn ihnen langweilig ist? Sie suchen sich irgendetwas, über das sie reden können. Etwas, das ein wenig Abwechslung bietet. Sei es ein", sie lächelte, „Zyklop, über den man sich in einer heimlichen Ecke kurz das Maul zerreißen kann, ohne es eigentlich böse zu meinen, oder sei es etwas anderes.
Zum Beispiel eine Parapositronik, die jederzeit außer Kontrolle geraten kann."
Savoire stand auf. Das Esbestehtkeine-Gefahrdass-ESCHERaußer-Kontrollegeratenkönnte, das ich erwartet hatte, folgte nicht. Stattdessen sagte er: „Ich habe vergessen, euch etwas zu trinken anzubieten. Wie wäre es mit einem Saft, den es nur in meiner Heimat Diakat gibt?
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