241 - Splitterzeit
letzten Moment, um von Matt noch über das Dach des Hindernisses hinweg gelenkt werden zu können.
Crow hinter ihm war kreidebleich und offenbar nicht einmal mehr in der Lage, Flüche auszustoßen.
Matt konnte nicht verleugnen, dass ihm die Befindlichkeit des Generals eine gewisse Genugtuung verschaffte. Dennoch ließ er sich nicht dazu hinreißen, ihr gemeinsames Glück zu überstrapazieren. Statt eines Loopings oder einer weiten Schleife über die verwüstete Stadt nahm er nach kurzer Orientierung direkten Kurs auf die Anhöhe, auf der sich die Whitehead-Farm befunden hatte. Vor dem Beben und den nachfolgenden Bränden. Jetzt waren dort im Näherkommen nur noch zwei verkohlte Flecken zu sehen.
Alles an der von Gustave Whitehead konstruierten und von Matt in mühevoller Hast »frisierten« Maschine wackelte und schien unter den einwirkenden Kräften auseinander fallen zu wollen.
Und dennoch: Der Prototyp war erstaunlich weit gediehen; weiter als Matt es nach den historischen Fakten erwartet hatte. Erstaunlich, dass Whitehead letztlich gescheitert war. Das Beben musste daran schuld sein, dass er die Entwicklung nicht weiter vorangetrieben und einen epochalen Durchbruch erzielt hatte.
Der Flug erinnerte mehr an eine Kutschenfahrt über eine Schlaglochstrecke. Doch noch hielt die Holzkonstruktion mit der Baumwollbespannung. Noch ließen sich die Leitwerke bedienen und der Flieger auf Kurs halten.
Matt verbannte Crows Gegenwart in einen Winkel seines Bewusstseins, wo er nicht weiter störte, aber dennoch präsent blieb. Denn schon jetzt, lange bevor sie ihrem gemeinsamen Ziel den letzten Schritt näher gekommen waren, musste er sich mit dem »Danach« befassen. Wie auch immer es aussehen mochte. Falls sie diesen Irrwitz überlebten, würde Crow sofort wieder der Alte sein – darüber machte sich Matt keine Illusionen.
Deshalb hatte er den Smith & Wesson nicht einfach nur irgendwo in der Halle versteckt, und auch nicht das Dynamit – im Falle einer erfolgreichen Rückkehr in die Zukunft wollte er es sein, der darüber gebot. Nicht Crow, dem jedes Mittel recht sein würde, um sich doch noch den Flächenräumer unter den Nagel zu reißen.
Und dazu musste der Koordinator ausgeschaltet werden. Aber erst einmal…
Im Anflug auf die Überreste des Whitehead-Anwesens wurde Matt die ganze Problematik seines Vorhabens klar. In den Rauchschwaden der brennenden Scheune hatten er und Crow die Zeitblase in der Luft hängen gesehen – sechs, sieben Meter über dem Boden. Doch nun war sie wieder unsichtbar, und somit würde es unmöglich sein, sie exakt oder auch nur grob anzusteuern.
Es wäre der absolute Glückstreffer, wenn ich… Er stockte.
Der Wagen! Der Leiterwagen, den der General die Hügel hinauf geschafft und vor der Scheune in Position gebracht hatte, stand immer noch da, und aus ihm hervor ragte das untere Dritter der Leiter, deren Rest von den Gewalten der Zeitblase regelrecht zerbröselt worden war.
Das könnte reichen!, dachte Matt und vervollständigte in Gedanken die geneigte Leiter bis zur richtigen Höhe.
Er steuerte den Flieger frontal auf den Leiterstummel zu und korrigierte laufend die Höhe – was bei dem unregelmäßig laufenden Motor nicht leicht war.
»Das schaffen wir nicht!« Zum ersten Mal seit dem Start meldete sich Crow wieder zu Wort. »Landen Sie, Drax! Wir bauen uns eine Behelfsleiter, mit der wir da hinauf kommen! Die Blase im Flug treffen zu wollen ist doch Wahnsinn!«
Matt war versucht, dem Flehen des Generals Gehör zu schenken. Aber einen Versuch wollte er sich gönnen – falls der schief ging, konnte er immer noch landen!
»Festhalten!«, rief er Crow zu. »Da müssen Sie jetzt durch…«
»Sie sind wahnsinnig!«
Matt presste grimmig die Kiefer zusammen. Ihm kam der Gedanke, dass Gustave Whitehead vielleicht in diesem Moment irgendwo stand und zusah, wie sein Traum wahr wurde, wie sein Flieger von dem geheimnisvollen Fremden mit ein paar Handgriffen doch noch in die Lage versetzt worden war, sich in die Lüfte zu erheben… In Gedanken schickte er dem Flugpionier einen stummen Gruß.
Sie waren keine fünfzig Meter mehr von der niedergebrannten Scheune entfernt. Sein Bauchgefühl fütterte sein Selbstvertrauen. Nein, er war nicht in diese Zeit gespült worden, um hier ums Leben zu kommen! Wenn überhaupt ein tieferer Sinn dahinter steckte, dann war es eine Prüfung… und die würde er bestehen!
»Zum letzten Mal: Festhalten!«
»Zum letzten Mal: Sie Narr!«, schnappte
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