241 - Splitterzeit
Tentakel hergekommen war, schnellte bereits der nächste Strang heran.
Mit einem Hechtsprung wich Matt ihm aus und rollte sich über die Schulter ab. Er blieb in der Hocke und sah sich um.
Lityis Arm schwenkte in seine Richtung. Ihr Finger am Abzug des Drillers bewegte sich.
»Nein!«, rief Matt, den die Situation mit einer Vehemenz überfiel, dass er gar nicht wusste, worauf er sich zuerst konzentrieren sollte.
Der Ort, an dem er sich befand, war ein anderer als der, von wo er zusammen mit Crow nach San Francisco versetzt worden war. Die glitzernde Zeitblase musste weiter gewandert sein, befand sich aber immer noch im inneren Gang der Anlage, wie an den geschwungenen Stützpfeilern unschwer zu erkennen war, und verharrte momentan in ihrer Position.
In der äußeren Röhre hatte er keins dieser Phänomene gesehen; beschränkten sie sich nur auf diesen Teil des Flächenräumers? Eine hydritisches Warntafel kam ihm in den Sinn: Fluktuationsbereich.
Für weitere Überlegung war jetzt aber nicht die Zeit. Matt streckte Lityi die Handfläche entgegen. »Nein!«, rief er noch einmal. »Wir können dir helfen – gegen ihn!« Er musste Lityi irgendwie erreichen. Ihr Körper gehorchte Rantt’ek, aber vielleicht würde ihr Geist sich gegen seinen Willen stemmen und nicht zulassen, dass der Koordinator ihre Hand dafür missbrauchte, ein Menschenleben auszulöschen.
Chachos Frau zögerte tatsächlich. Ob aus eigenem Antrieb, oder weil der Herr dieser Anlage sich bezähmte, weil er Matt immer noch lebend in seine Fänge bekommen wollte, blieb unklar.
Matt wollte kein Risiko eingehen und erst einmal Abstand gewinnen. Er rannte los, den Tunnel entlang. Schon nach wenigen Schritten hatte er die Krümmung des Gangs zwischen sich und den Driller gebracht.
Doch wohin sollte er sich jetzt wenden? Auf alle Fälle in einen Bereich der Anlage, in der die Reservoirs für die Tentakel vertrocknet und unbrauchbar waren.
Matt verhielt in seinem Lauf, als ein bekanntes Flimmern im Gang vor ihm auftauchte. Eine Zeitblase!
Nun saß er in der Klemme! Hinter ihm die Bedrohung durch Lityi und den Koordinator, vor ihm die Gefahr, erneut in ein anderes Zeitalter der Erde geschleudert zu werden.
Er wusste nur eines ganz gewiss: Er wollte nicht enden wie Crow. Oder Lityi. Oder die konservierten Toten in den Wannen, die über Jahrtausende hinweg Rantt’eks Gesellschaft gewesen waren. Er wollte frei bleiben, sein eigener Herr.
Also weiter! Matt drückte sich an der Wandung entlang. Das kristallene Flimmern der Zeitblase schien sich in sein Hirn zu brennen. In welche Epoche und an welchen Ort mochte sie wohl führen?
Er unterbrach seinen Gedankengang, als hinter ihm Lityi um die Krümmung des Tunnels kam, den Driller vorgereckt und mit ausdruckslosem Gesicht. Offenbar hatte der Koordinator sie wieder ganz unter Kontrolle.
»Bleib stehen und ergib dich in dein Schicksal!«, forderte ihn Lityi auf und richtete die Waffe auf ihn. »Du hast keine andere Chance!«
Doch, die habe ich, dachte Matt grimmig. Auch wenn sie ins Ungewisse führt…
Nach einem letzten Blick zu Lityi warf er sich herum und überwand mit einem Sprung die Distanz zu der Zeitblase. Er streckte den Arm aus. Und als er das glitzernde Gebilde berührte, erlebte er den bereits von der Pyramidenblase bekannten Effekt: Sofort bildete sich im Inneren der Kugel ab, wohin sie führte, mit welchem Szenario sie in Verbindung stand…
Er starrte auf eine sonnendurchflutete, bergige Landschaft mit nur wenig Vegetation. Primitive Bauten waren zu erkennen, die ihm seltsam vertraut vorkamen. Stufenartig gestaffelte Lehmhütten, in einen Abhang gebaut. Wo hatte er das schon gesehen…?
Ein letzter Blick zurück.
Lityi war noch näher gekommen – und in diesem Moment sah Matt, wie sich der Tentakel aus ihrem Nacken löste.
Rantt’eks »Arm« flog heran, um ihn zu übernehmen!
Das gab den Ausschlag, seiner Hand, die noch zögerlich über die sphärenhafte Oberfläche des Phänomens tastete, auch den Rest des Körpers folgen zu lassen.
Im Moment des Sprungs hatte Matt das Gefühl, von etwas im Nacken getroffen zu werden. Fast meinte er einen Biss zu verspüren…
… aber dann war da nur noch das Gefühl des freien Falls.
Das Gefühl, sich in einen bodenlosen Abgrund geworfen zu haben, und dass der anschließende Sturz ewig andauern würde.
Sein Sichtfeld schrumpfte auf Null. Sein Gehör versagte ebenso wie jeder andere seiner Sinne. Alles wurde dunkel, alles wurde taub, und
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