241 - Splitterzeit
zuließ, dass diese Galgenvögel eine ganze Familie ins Unglück rissen.
Der Schuss krachte.
Bobs Augen wurden groß wie Monde.
***
Rußgeschwärzte Ruinen, so weit das Auge reichte. Und es brannte immer noch in vielen Vierteln der Stadt. Hier jedoch, wo Crow stand, fanden die Flammen keine Nahrung mehr. Sie waren erloschen und hatten ein Bild des Grauens hinterlassen. Wie ein mit Bleistift auf Papier gebanntes Gemälde wirkte die Umgebung. Selbst die Menschen, die her umirrten, schienen ihrer Farbe beraubt zu sein. Alles mutete skizzenhaft und unfertig an. Schraffierte Figuren und Motive auf einer vergilbten Leinwand.
Der General seufzte. Die Wärme in den Resten des zerstörten Gebäudes war noch spürbar. Wenn man die Hand auflegte, hatte man das Gefühl, eine langsam erkaltende Ofenplatte anzufassen.
Der Zellentrakt war leicht zu finden. Die Gitterwand hatte dem Brand ebenso widerstanden wie die Steine, aus denen das Haus errichtet worden war. Nur das Dach war an vielen Stellen völlig verschwunden. Wenn Crow aufblickte, konnte er den von Rauchschlieren durchzogenen Himmel sehen. Die Sonne blieb unsichtbar. Sie würde auch am Tag nach dem furchtbaren Beben keinen Weg durch die Verschmutzung finden, die immer größere Ausmaße annahm. Als wäre irgendwo ein Vulkan ausgebrochen und hätte Millionen Tonnen Asche in die Atmosphäre geschleudert, mutete das Zwielicht an, in das die Szenerie getaucht war.
Crow empfand dies umso bedrückender, da er sich mit dem Gedanken würde anfreunden müssen, den Weg zurück in seine Zeit für immer verwirkt zu haben. Sein Egoismus hatte ihn in diese Lage gebracht, das war ihm bewusst. Aber niemand hatte ahnen können, dass das Portal ihn abweisen – abstoßen – würde, wenn er es allein zu durchschreiten versuchte.
Der General haderte nicht wirklich mit dem, was er getan hatte. Dennoch hatte ihn etwas hierher getrieben. Ein innerer Zwang, der nach letzter Gewissheit verlangte, dass Matthew Drax tatsächlich in den Ruinen dieses Hauses gestorben war.
Immerhin gab es noch die Möglichkeit, dass die Polizisten ihn rechtzeitig evakuiert hatten. Dann würde er nur nach seinem aktuellen Aufenthaltsort forschen müssen… Ja, je länger er darüber grübelte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihm, dass man Drax einfach hatte verbrennen lassen.
Arthur Crow durchstöberte die Überreste des Gebäudes mit neuem Elan. Akribisch drehte er jeden Stein, den er im Zellenbereich fand, um. Aber weder dort noch im früheren Bürobereich fand er die sterblichen Überreste auch nur eines Menschen.
Und Crow wusste, wie ein Brandopfer aussah. Wusste, wie Leichen – in welchem Zustand auch immer – aussahen.
Nein, entschied er, als er der Ruine schließlich den Rücken kehrte, du bist hier nicht verbrannt. Dich will weder Himmel noch Hölle, Matthew Drax. Und egal, in welchem verwanzten Loch du gerade steckst und deine Wunden leckst, ich werde dich finden… und zwingen, mir die Tür ins Morgen zu öffnen. Danach kannst du dem Koordinator Gesellschaft leisten – oder dieser Lityi. Was immer dir gefällt. Auch in meiner künftigen Bastion werden Sklaven gern gesehen sein…
***
Bob fiel wie ein gefällter Baum nach vorne. Er schlug auf die Stufen und rutschte hinab. Der dumpfe Aufprall ließ Matt aus seiner vorübergehenden Erstarrung erwachen. Erstaunt blickte er auf das Blut, das die Kleidung im Rücken des Gefallenen tränkte. Er begriff endgültig, dass nicht Bob geschossen hatte, sondern jemand auf diesen.
Eine Stimme rief: »Keine falsche Bewegung, Gents! Oder ihr seid die Nächsten! Schießeisen auf den Boden und ab zur Wand!«
Matt dämmerte, wer da sprach, noch bevor er Annes aufgeregte, aber auch erleichterte Stimme rufen hörte: »Ben! Ben… dem Himmel sei Dank…!«
Und die kindliche Stimme des Jungen mischte sich dazwischen: »Pa…!«
Offenbar stürmten sie ihm entgegen. Doch der für Matt immer noch Unsichtbare bremste ihren Überschwang. »Wartet! Wartet, bis ich die hier versorgt habe… Sind das alle? Oder stecken noch irgendwo welche?«
»Ich bin noch hier«, meldete sich Matt vorsichtshalber und begann langsam die Stufen hinab zugehen. »Aber ich bin unbewaffnet und sowieso nicht Ihr Feind, Ben.«
Als Matt endlich in den Flurverlauf blicken konnte, sah er in ein argwöhnisches Gesicht, das ein paar Stunden Schlaf und eine Rasur gebraucht hätte. Der blonde Mittdreißiger trug die Uniform, die Matt erwartet hatte, und in seiner Hand zielte ein Revolver
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