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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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damit Rulfans Stirn ab. »Du wirst Durst haben…«
    »O Mann – und wie…« Aldous reichte Rulfan einen Becher Quellwasser, den dieser in einem Zug leerte. Dann sagte er: »Ich bin gestürzt…«
    »Das dachten wir uns schon. Wer konnte ahnen, dass du sofort am nächsten Morgen losläufst, um diese Orchidee zu pflücken?« Aldous schüttelte den Kopf, nahm die Sonnenbrille ab und rieb sich die Nase. »Lay war ganz schön wütend auf mich. Ich hätte dir Flausen in den Kopf gesetzt, meinte sie. Es dauerte fast einen ganzen Tag, bis sie begriff, dass nur du die Verantwortung für dein Tun trägst. Schließlich bist du kein kleiner Junge, sondern ein gestandener Mann, nicht wahr? Letztendlich fühlte Lay sich sogar geschmeichelt.«
    »Ich habe das Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben…«, murmelte Rulfan und versuchte seine Muskeln zu entspannen. Er rutschte mit dem Rücken etwas höher und stemmte sich gegen den Fellsack. »Nachdem ich vor einem Jahr den Anführer der Zilverbaks besiegte, trug ich ein paar gebrochene Rippen davon. Lay baute mir eine Bambushütte. So eine wie diese hier.«
    Ein mächtiger Körper füllte den Türrahmen aus. Zarr, dem Lay folgte, schob sich in die Hütte. Er verschränkte die Arme vor dem Harnisch und verzog das Gesicht. »Rulfan wach! Gut so!« Er kratzte sich die Schädelplatte, drehte sich um und stapfte hinaus. Lay kicherte. »Zarr sich freut.«
    »Ja, er liebt mich abgöttisch«, brummte Rulfan. »Wo ist Chira?«
    »Chira spielt mit Winda. Gute Freunde. Winda hat Pflanzen gefressen von Lörk. Garten kaputt, aber jetzt wieder heile. Winda mag Nüsse und Blüten. Oh… hier ist Suppe. Rulfan muss essen. Dann bald gesund…«
    So plapperte sie und Rulfan hörte entspannt zu, während ihm die Augen zufielen und eine mächtige schwarze Wolke ihn in den tiefen Schlaf zurückführte.
    ***
    Ich hätte ihn und diesen Grao getötet!, wiederholte die Stimme. Rulfan fragte sich, wieso der Traum an genau jener Stelle fortfuhr, an der er geendet hatte. Aber so war das eben mit Träumen. Sie kamen unversehens und hatten eigene Gesetze.
    Träume sind unerlässlich, wenn man die Zukunft gestalten will. Du stehst mit beiden Beinen fest in den Wolken, Rulfan. Mache etwas draus! Lass uns träumen!
    Wer bist du?
    Ich bin einer, der Drei ist. Der Priester und der Arzt. Der eine sorgt für die Wunden der Seele, der andere für die des Leibes. Ich bin das Gewissen und die Gesundheit. Und ich bin der Mann des Gesetzes. Und genau dieses Gesetz wurde bei Daa’tan und Grao nicht angewendet.
    Ich maße mir nicht an, Rechtsprechungen zu kritisieren.
    Blicke in dich hinein, Rulfan. War es richtig, die Verbrecher am Leben zu lassen? Ist das gerecht? Ist das moralisch?
    Nein, das ist es nicht!
    Was ist, wenn Daa’tan und Grao sich befreien können? Was wird dann geschehen?
    Sie werden ihr Schreckensregiment fortsetzen. Sie wären durch kaum etwas aufzuhalten.
    Sie würden töten, nicht wahr?
    Ja, das würden sie.
    Willst du das? Kannst du die Verantwortung dafür übernehmen?
    Rulfan schwieg. Er spürte, dass er schwer atmete. Ich träume, dass ich träume! Ich will, dass dieser Traum endet. Und doch… tut er mir gut. Böse Geister und Erinnerungen… mit jedem Moment dieses Traumes entlaste ich meine Seele, befreie ich mich aus meinem Kerker. Und hat die Stimme nicht recht? Auch ich hätte Daa’tan und Grao getötet. Beide sind zu gefährlich, um sie zu verschonen – nur weil Daa’tan Matts Sohn ist!
    Wir alle leiden unter diesem oder jenem. Worunter wir aber alle am meisten leiden, ist Ungerechtigkeit.
    Das stimmt!
    Es ist ungerecht, dass Daa’tan und Grao noch leben, nicht wahr?
    Ja, das ist es! Sie müssen beseitigt werden!
    Ja, das müssen sie.
    Wann wird es geschehen? Wann soll ich sie töten?
    So bald du willst, Rulfan. So bald du willst!
    ***
    Als Rulfan erwachte, verwehte der Traum, von dem ein schaler Geschmack zurückblieb. Er versuchte Fetzen davon festzuhalten. Was blieb, waren Fragmente: Mutter, Daa’tan, Matt. Und Tränen, die er geweint haben musste, denn seine Augenwinkel waren verkrustet.
    Eine Öllampe warf weiche Schatten. Chira sah schwanzwedelnd auf und legte den Kopf wieder auf die Vorderpfoten. Auf das Dach der Bambushütte prasselte Regen. Wo war Aldous? Nicht da. Natürlich – der Alte musste schließlich auch mal schlafen. Aber doch hoffentlich nicht schon wieder draußen? Nein, Lay würde sich darum gekümmert haben, dass er nicht nass wurde.
    Nun wusste Rulfan,

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