244 - Der dunkle Traum
Warum ist sie so aufgebracht? Hat das was mit dem Pulvergetränk zu tun?«
Aldous rieb sich die Nase. Seine Lippen kräuselten sich zu einem gütigen Lächeln. »Kannst du dir das nicht denken?«
Rulfan seufzte, überlegte eine Weile und sagte: »Ist sie eifersüchtig?«
»Ich fürchte, das ist sie, Rulfan. Sie ist eifersüchtig darauf, dass du mit mir redest, wie du mit ihr bisher nicht reden konntest.«
»Bei Wudan – ich möchte nicht, dass sie wütend ist!«
»Selbstverständlich willst du das nicht. Trotzdem gibst du hier und jetzt einem Grundbedürfnis nach. Wer will es dir verdenken. Mit den Zilverbaks wirst du kaum anregende Gespräche führen, und mit Lay…«
»Mit ihr auch nicht…« Rulfan stützte sein Kinn auf die Handflächen und starrte ins Feuer. »Das ist manchmal nicht einfach…«
»Ihr seid ein schönes Paar. Der Gegensatz, den ihr bietet – völliges Schwarz und völliges Weiß – ist faszinierend. Wenn nicht sogar…« Aldous suchte nach Worten. »… originell! Du bist nicht mehr der Jüngste, nicht wahr?«
»Ich bin fast sechzig Winter alt. Ich bin kein junger Mann mehr, aber ich fühle mich wie einer. Und ich liebe sie…«, flüsterte Rulfan und kam sich mit einem Male wie ein kleiner Junge vor, geschrumpft vor Aldous, der mit väterlicher Ruhe auf ihn herabschaute. Woran lag es, dass er sich so wohl fühlte, so geborgen?
»Du bist ein intelligenter Mann«, sagte Aldous. Er entnahm einem Futteral Rauchzeug, stopfte eine langstielige Pfeife und paffte süß duftendes Gras über das Feuer. »Man könnte dich durchaus gebildet nennen. Wie du sagtest, hat dein Vater dir Kenntnisse der Geschichte vermittelt. Nur wenige wissen so viel wie du. Und doch bist du nun ein Mann, der mit einem Säbel durch die Gegend stapft und im Regenwald lebt.«
»Durch den Wald stapft?«
Aldous kicherte. »Versteh mich nicht falsch, Rulfan. Dieses Leben hier… ist es eines Mannes wie dir würdig?«
»Ich bin hier zufrieden – und in gewisser Weise glücklich.«
»Wie viel Blut klebt an deinen Händen?«
Rulfan stutzte. Eine seltsame und unerwartete Frage. Aldous reichte ihm die Pfeife. Das schien ein Ritual zu sein und Rulfan wollte nicht unhöflich sein. Also zog er. Es brannte auf seiner Zunge. Er atmete einmal, dann noch einmal ein, hustete und reichte dem Alten die Pfeife zurück. »Blut?«
»Du siehst aus wie ein Mann, der viel erlebt hat. Ich sehe in deinen Augen, dass du gekämpft hast.«
Rulfan nickte. »Es gab erlebnisreiche Zeiten…«
»Sehr sophistisch, mein Lieber«, meinte Aldous. »Vielleicht möchtest du mir später mehr darüber erzählen?«
»Ja… vielleicht«, murmelte Rulfan tonlos.
Aldous klopfte den Pfeifenkopf an seinem Lederstiefel aus. Sein Blick heftete sich auf Rulfan. »Es ist schön, einem gebildeten Mann zu begegnen. Sehr schön… Unsere degenerierte Welt hält nicht mehr viel Kultur bereit, verstehst du? Die meisten Bücher sind vor mehr als fünf Jahrhunderten zerstört worden. Die Überbleibsel werden von einigen wenigen Menschen gehütet wie Schätze. Heute ist dieser Planet von Barbaren und mutierten Wesen bevölkert und beherrscht, und nur eines ist noch wichtig: sich sein Überleben zu sichern.«
Aldous stocherte mit einem dünnen Ast im Feuer herum. Rulfan schwieg und wartete ab.
»Uns fehlt Kultur, mein Freund! Literatur, Kunst, Musik. Die Vorstellung von Autorität, höherer Wahrheit, Recht und Moral. Jede Zeit hat ihre eigene Kultur, aber diese Zeit hat nur wenig davon.«
»Wir haben Götter, Religionen. Unendlich viele Mythen… das ist doch ein guter Beginn.«
»Unsere Geschichte, mein Freund, schreibt der tägliche Kampf ums Überleben. Aber das allein genügt nicht. Nur wenn wir die Dinge unter religiösen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Gesichtspunkten sehen, werden wir in ein größeres Ganzes eingebunden, in dem allem eine Bedeutung zukommt.«
Rulfan nickte interessiert. Ihm tat dieses Gespräch gut, auch wenn sein Intellekt etwas eingerostet schien, denn es fiel ihm nicht leicht, den klugen Worten des Alten zu folgen.
»Dann, Aldous, hast du die Aufgabe, etwas daran zu ändern«, sagte er. »Du hast Bildung, hast ein klares Weltbild. Gebe dies weiter. Wirke als Prophet.«
Aldous lachte. »Und wer sollte mir zuhören?«
Ich, dachte Rulfan. Ich höre dir gerne zu!
Aldous warf den Stock ins Feuer. »Vielleicht«, fuhr er fort, »wird es irgendwann eine Gruppe Menschen geben, die dieser Welt ein neues Bild schenken. Große
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