2458 - Der zweite Dantyren
empfand sich Lipica so akzeptiert, so daheim wie nie zuvor in einem langen, von Stigmatisierung geprägten Leben.
Die Last ihres Leibes fiel von ihr ab.
Der unförmige Klotz unterhalb ihrer Stirn dünnte sich aus.
Sie hasste die Muskeln nicht, die sie aufrecht hielten, hatte sich an den Körperpanzer gewöhnt, der sie von der Umwelt abschottete. Lipica war anders, seit sie denken konnte. Größer, stärker, schneller.
Athletischer. Gefährlicher. Einsamer.
Sie ächzte. Der behagliche, samtene Seim, der sie umspülte, bestand aus purem Verständnis, mehr noch: Mitgefühl.
Dantyren, das erkannte ihr rationales Ich wohl, hatte keine Ahnung, dass sie nicht dem Volk der Mor’Daer entstammte, sondern Terranerin war. Jedoch spürte er die Diskrepanz zwischen Schein und Sein, die ihr innewohnte.
Dass sie ihre Härte bloß vorschützte.
Dass hinter der Maske, hinter der Masse, der maßvoll trainierten, dennoch übermäßigen Fülle ein unsicheres, hauchzartes Wesen hauste.
Ihm gegenüber, suggerierte der Duale Kapitän, brauchte sie sich nicht zu verstellen. Er, lockte er, und nur er konnte ihr die Anerkennung, die Liebe geben, nach der sie so sehr gierte. Wenn sie sich ihm öffnete und kooperierte.
Falls nicht ... In die weiche, honiggelbe Flüssigkeit mischten sich Partikel, winzig scharf, gläsern, kristallin blau. Ihre dicke Haut aufscheuernd.
Wunden reißend. Glühkalt brennend, wie Pfeffer, tief hinein.
Lipica schrie.
„Nicht wahr", gurrte Dantyren, „du willst es mir sagen. Alles, was du weißt.
Parierst du, belohne ich dich hiermit."
Süße strömte auf sie ein, umhüllte sie. Wonne, Glückseligkeit. Sie und das All waren eins.
„Solltest du dich mir hingegen verweigern, kriegst du das!"
Übergangslos wandelte sich das heimelige Medium, in dem sie eben noch, nahezu ohne jegliches Gewicht, unbelastet von Herkunft und Verpflichtung, geschwebt war, zu einem tosenden Sandsturm der Hoffnungslosigkeit.
Myriaden von Körnern schmirgelten ihre Hülle hinweg, legten die grausig nackte, beschämende Existenz frei.
„Wähle!", rief Dantyren, triumphierend glucksend. „Nicht, dass du tatsächlich eine Wahl hättest ..."
Die Gemütszustände, die er ihr einimpfte, wechselten nun in irrwitzig rascher Abfolge. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, wieder und wieder, innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Wann immer der Orkan sie traf, brausend, prasselnd, fetzte er eine weitere Schicht ihres Widerstands hinfort.
Nicht wegen der Wundschmerzen, die er verursachte. Die steckte Lipica weg, wiewohl sie aus der Seele blutete. Aber durchzuhalten hatte sie gelernt, allzeit treu zu sein auf Gedeih und Verderb.
Wie ein braves Ross seinem Reiter.
Ungleich grausamer war, wenn der Herr ihr dazwischen die Aufmerksamkeit entzog. Wenn er absolutes Desinteresse vermittelte und damit drohte, sie nie mehr einer Belohnung oder Bestrafung zu würdigen.
Alles in Lipica begehrte auf gegen diese Herzlosigkeit. Sie wollte den elenden Krüppel zurechtweisen, es dem zweiköpfigen Kretin hineinsagen: dass er ein Nichts war, eine Schimäre, ein müder Abklatsch seines Vorgängers, seines Vorbildes Danton sowieso.
„Ja. Wir sind nahe dran." Die ungleichen Stimmen des Duals überschlugen sich, interferierten zu hypnotischen, sich ins Unendliche aufsummierenden Obertönen. „Lass los. Leg ab. Bekenne, erleichtere dich. Sag mir, wer du wirklich bist, weshalb du hierher entsandt wurdest!"
Lipicas Sichtfeld verengte sich, als würden die an den Schläfen sitzenden, scheuklappenartigen Panorama-Bildflächen, die Teil ihrer Maskierung waren, unter dem Einfluss großer Hitze zu einer Röhre verbogen. Ungeheure Wut staute sich in ihr auf, kaum mehr beherrschbar, nach dem Ventil gierend, das der grässlich einfühlsame Meister ihr anbot.
Sie stand unmittelbar davor, Zweck und Beschaffenheit ihrer Mission preiszugeben. Alles aufzudecken, nur um dem übermächtigen, gleichermaßen Lust und Qual spendenden Folterer das schiefe Maul zu stopfen und sich zugleich seiner endlosen Zuneigung zu versichern.
Dantyren fauchte: „Raus damit! Ich. Will. Deine. Aufgabe. Hören."
Da murmelte jemand schräg hinter ihr etwas schwer Verständliches.
„Wie beim Go", reimte Lipica sich zusammen. „Bing Cinderlyn hat recht: Kaum kennt Madame sich nicht mehr aus, schmeißt sie alles hin."
Welch Zumutung, welch gemeine Unterstellung! Das durfte sie nicht auf sich sitzen lassen.
Oberleutnantin Lipica Atabinmek gab sich einen Ruck. Der Ärger über die
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