Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
248 - Entfesselte Gewalten

248 - Entfesselte Gewalten

Titel: 248 - Entfesselte Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
die Auswüchse des widerlichen Pilzes ein, die ihn umgerissen hatten. Es gelang ihm, sich aufzurichten. Er führte die Degenklinge mit traumwandlerischer Sicherheit, schlug im Sitzen nach links und rechts, durchtrennte endlich die Pilzfäden, die ihn an den Beinen festhielten. Aus den Augenwinkeln sah er hinter sich die Soldaten der Leibwache stehen. Doch sie kamen nicht näher, konnten ihnen nicht beistehen: Ein Netz aus Pilzfäden und -tentakeln hielt sie auf.
    Auf einmal verstummte der Alarmton. Ein Körper schlug dumpf am Boden auf. Pilatre de Rozier sprang hoch und sah über die Pilzmasse und die darin verwobenen Leichen der Stationswächter hinweg: Der Pilz hatte seinen Sohn buchstäblich vom Zugseil gepflückt.
    Akfat wand sich in Agonie. Nur die Schultern, der rechte Arm mit dem Degen und sein Kopf waren noch nicht von dem wuchernden Organismus bedeckt. Obwohl er fürchten musste, sich selbst zu treffen, schlug der Prinz mit der schlanken Waffe nach Tentakeln, Fäden und Blasen werfendem Gewebe.
    »Halte durch, mein Sohn!« Pilatre de Rozier hieb in den Pilzwall, der sich vor ihm erhob und den Weg durch die Bresche leblosen Gewebes versperrte, den Weg zu Akfat. »Halte durch…!« Sieben Schritte nur trennten Vater und Sohn, aber zerschlagene und immer wieder neu wuchernde Pilzflechten und die halbverdauten Leichname der Aufzugswachen machten diese sieben Schritte zu einem schier unüberwindbaren Abgrund.
    Keuchend hieb Kaiser Pilatre de Rozier um sich. Schon stand er auf der Schwelle des Tores vor der Liftstation. »Vater, hilf mir!«, schrie Prinz Akfat sieben Schritte entfernt. Ein Pilztentakel, dick wie ein Frauenschenkel, hatte sich in drei Auswüchse geteilt, die sich nun blitzschnell um Akfats Arm schlangen und ihn nach hinten rissen. Der Degen entglitt ihm. »Vater, es tut mir so leid…«
    »Nicht doch, mon fils…!« De Rozier packte seinen Degen mit beiden Händen, holte aus und spaltete eine rüsselartige Pilzwucherung, die seine Hüften umschlingen wollte, in zwei Hälften. »Halte durch, ich komme zu dir…!« Hinter sich hörte er seine Leibwachen fluchen und ihre Klingen pfeifen. »Halte durch, Akfat, halte durch…!«
    Vergessen war der Zorn, den der Kaiser seinem Sohn gegenüber gehegt hatte, weil dieser die Aufgabe, den Kerker zu kontrollieren, nicht ernst genug genommen und ihn darüber hinaus nicht sofort davon unterrichtet hatte, dass einige Dörfer im Umland von geisterhaften Wesen angegriffen wurden, die angeblich aus Wurzeln und Flechten bestanden. Für den Kaiser hatte sofort auf der Hand gelegen, wer der Verursacher dieser Übergriffe war: Maddrax' Sohn, der Pflanzenmagier!
    Aber schließlich war die Information doch zu ihm vorgedrungen – als ein Erkundungstrupp Prinz Akfat Bericht erstatten wollte und dabei an den Kaiser geriet. Mitten in den Hochzeitsvorbereitungen überraschte Pilatre de Rozier diese schlimme Nachricht! Sofort hatte er sich mit seinem Sohn auf den Weg zur Aufzugsstation gemacht. Sie wollten zum Kerker hinunter fahren, um Daa'tan das Handwerk zu legen.
    Bis zum Tor zur Station waren sie gekommen – und jetzt mussten sie ihr Leben gegen ein undurchdringliches Pilzgeflecht verteidigen, das sich offenbar am Ankerseil der Stadt empor gewunden hatte.
    Nun dachte der Flugpionier aus der Vergangenheit nicht mehr an die schöne Elloa und an die bevorstehende Hochzeitsnacht mit ihr. Jetzt dachte er nur noch ans nackte Überleben – und an die Bewohner von Wimereux. Was, wenn die Pilzfäden auch schon die restlichen drei Ankerseile und den Versorgungsschlauch nutzten, um in die Stadt einzudringen?
    »Vater…« Akfats Stimme erstickte schon in einem Röcheln – feine Tentakel schlangen sich um seinen Hals und würgten ihn. Pilatre de Rozier setzte zum Sprung über den zerspalteten Pilzrüssel an, doch Pilzfäden hatten inzwischen seinen linken Arm eingewoben, zerrten an ihm und hielten ihn fest. Er hieb um sich, und als er die Fäden durchtrennt hatte, warf sich eine formlose Pilzmasse gegen ihn und schleuderte ihn zurück über die Schwelle des Tores.
    Er strampelte sich frei, richtete sich auf, schlug mit dem Degen um sich. Einen Atemzug lang sah er ihn noch, den Prinzen: So schwarz wie nie zuvor war sein Gesicht, die Adern an Stirn und Schläfen waren zu dicken Quasten angeschwollen, die Augen traten ihm aus den Höhlen und seine Zunge war grauweiß wie der Pilzorganismus und hing dem Sterbenden aus dem Mund. Dann schob sich die Pilzmasse über sein Gesicht, hüllte

Weitere Kostenlose Bücher