Das alte Königreich 03 - Abhorsen
Prolog
Nebel stieg vom Fluss auf, riesige weiße Schwaden, die sich allmählich mit dem Ruß und Rauch der Stadt Corvere vermischten und zu dem wurden, was die Zeitungen »Smog« nannten; bei der
Times
war von »giftigem Nebel« die Rede. Wie immer man diese kalte, feuchte, übel riechende Suppe auch nannte – sie war gefährlich, konnte alles und jeden ersticken und selbst den harmlosesten Husten in eine Lungenentzündung ausarten lassen.
Doch die gesundheitsschädigende Wirkung des Nebels war nicht seine größte Gefahr. Der Nebel von Corvere war ein Verberger, ein Schleier, der selbst das Licht der berühmten Gaslaternen dieser Stadt unsichtbar machte und Augen und Ohren täuschte. Wenn dieser undurchdringliche Nebel sich auf die Stadt legte, wurden alle Straßen dunkel, und der Klang der Geräusche veränderte sich – die ideale Szenerie für Mord, Totschlag und andere Verbrechen.
»Sieht nicht so aus, als würde der Nebel sich auflösen«, meinte Damed, der oberste Leibwächter von König Touchstone. In seiner Stimme schwang eine unbewusste Abneigung mit, obwohl er wusste, dass es sich bei dem Nebel um ein natürliches Phänomen handelte: eine Mischung aus industrieller Verschmutzung und Flussnebel. Zu Hause im Alten Königreich wurde solcher Nebel oft von Freien Magiern erzeugt. »Auch das Telefon funktioniert nicht, und der Begleitschutz ist nicht ausreichend und zudem ohne Erfahrung. Keiner von den Offizieren, die man uns bisher zugeteilt hat, gehört dazu. Ich finde, Ihr solltet nicht hinaus, Herr.«
Touchstone stand am Fenster und spähte durch die Ritzen des Ladens. Sie hatten die Läden vor wenigen Tagen anbringen müssen, nachdem die Demonstranten sich Steinschleudern besorgt hatten, so dass sie Ziegel und Steine weit genug werfen konnten, um das Gebäude mit der Botschaft des Alten Königreichs zu erreichen, das sich hundert Meter von der Straße entfernt in einem Park befand, der von einer Mauer umschlossen war.
Nicht zum ersten Mal wünschte Touchstone sich, die Charter erreichen zu können, um sich ihre Kraft und magische Unterstützung zu Nutze zu machen. Doch er und Sabriel befanden sich fünfhundert Meilen südlich der Grenzmauer, und die Luft war kalt und unbewegt. Nur wenn der Wind kräftig aus dem Norden blies, konnte Touchstone einen Hauch seines magischen Erbes spüren.
Sabriel empfand das Fehlen der Charter sogar noch stärker, wie Touchstone wusste. Er warf einen verstohlenen Blick auf seine Gemahlin. Sie saß wie üblich an ihrem Schreibtisch und schrieb an eine alte Schulfreundin oder einen bekannten Geschäftsmann oder ein Mitglied des ancelstierrischen Parlaments. Sie versprach Gold oder Unterstützung oder eine Empfehlung, ja, manchmal nahm sie sogar zu verschleierten Drohungen Zuflucht für den Fall, dass der Empfänger so dumm sein sollte, Corolinis Bemühungen zu unterstützen, Hunderttausende von Flüchtlingen jenseits der Mauer im Alten Königreich anzusiedeln.
Touchstone hatte sich noch immer nicht an den Anblick Sabriels in ancelstierrischer Kleidung gewöhnt, vor allem nicht in dem Hofstaat, den sie an diesem Tag trug. Er zog es vor, sie in ihrem blau-silbernen Wappenrock zu sehen, mit dem Glockenbandelier der Abhorsen um die Brust und ihrem Schwert an der Seite. Dieses silberfarbene Gewand mit einem Husarencape um eine Schulter und der seltsame kleine Hut, der an ihrem tiefschwarzen Haar festgesteckt war, gefielen ihm nicht recht. Und die kleine Automatikpistole in ihrem silbernen Täschchen war nur ein sehr unzureichender Ersatz für ein Schwert.
Auch Touchstone fühlte sich in seiner Kleidung nicht wohl. Das ancelstierrische Hemd mit dem steifen Kragen und der Krawatte beengte ihn, und sein Anzug bot keinerlei Schutz. Eine scharfe Klinge würde das doppelreihige Jackett so leicht wie Butter durchschneiden, und eine Kugel…
»Soll ich Euch entschuldigen, Herr?«, fragte Damed.
Touchstone runzelte die Stirn und blickte Sabriel an. Sie hatte seinerzeit die Schule in Ancelstierre besucht und verstand die Menschen und ihre Regierung besser als er. Differenzen südlich der Mauer versuchte sie stets auf diplomatischem Wege beizulegen, wie sie es schon immer getan hatte.
»Nein«, entgegnete Sabriel. Sie erhob sich und versiegelte den letzten Brief mit einem lauten Schlag. »Das Parlament tagt heute Abend, und es ist möglich, dass Corolini seine Gesetzesvorlage für die Zwangsemigration vorlegen wird. Dawforths Block verschafft uns vielleicht die Stimmen, die wir
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