251 - Der Taratzenkönig
wollte, London zu verlassen und auf die Kanalinsel Guernsey umzusiedeln. Wenn Sie das als Missverständnis bezeichnen wollen… Ich bezeichne es als Mord.«
Rulfan schluckte. »Ich bin sicher, dass mein alter Herr seine Gründe hatte. Wahrscheinlich hat sich Dubliner offen gegen ihn gestellt und er musste das Kriegsrecht -«
Lady Warrington unterbrach ihn. »Das ist noch nicht alles«, sagte sie schroff. »Nachdem wir uns seiner Gewalt gebeugt hatten, kaperten wir nach der Ankunft auf Guernsey das Schiff und segelten zurück nach London…«
Nun war es an Rulfan, sie zu unterbrechen: »Wer ist ›wir‹? Sie meinen die Demokraten, nicht wahr? Ein netter Name für eine Rebellengruppe, die vor Meuterei, Entführung und Gewalt nicht zurückschreckt.«
Lady Warrington ballte die Fäuste. »Das sind Notwendigkeiten angesichts der Schreckensherrschaft, die von Leonard Gabriel ausgeht«, rechtfertigte sie sich. »Auf Guernsey wurde er endgültig zur Bestie, wie wir von Cinderella Loomer erfuhren, der ein Jahr später die Flucht aus seiner Tyrannei gelang!«
Rulfan horchte auf. »Ich möchte sie sprechen!«, verlangte er.
Josefine Warrington blickte zu Boden. »Sie erlag kurz nach ihrer Ankunft ihren schweren Verletzungen«, sagte sie. »Aber vor ihrem Tod berichtete sie noch von Nosfera auf Guernsey, mit denen sich Ihr Vater offenbar zusammengetan hat, und von einer Seuche.«
Rulfan fuhr hoch. »Haben Sie vielleicht mal in Erwägung gezogen, dass Sie Ihr Urteil auf die Fieberfantasien einer Sterbenden gründen? Mein Vater hatte nie einen Hang zur Gewalt. Er konnte hart durchgreifen, ja, aber das geschah immer im Rahmen der Regeln. Nein, tut mir leid, Mrs. Warrington, das ist für mich kein Beweis. Und Sie täten ebenfalls gut daran, sich nicht von persönlichen Aversionen leiten zu lassen.«
Ihre Augen funkelten hart. »Das trifft nicht zu! Ich habe Gabriel selbst erlebt. Ich bin sicher, dass jedes Wort, das wir von Loomer gehört haben, stimmt.«
»Ach ja? Ich frage mich jedoch, warum Sie meinem Vater überhaupt ans Leder wollen. Die Leute, die bei ihm geblieben sind, haben ihr Schicksal selbst gewählt. Und Sie sind mit Ihren Demokraten wieder hier in London, weit weg von Guernsey. Was geht Sie also das Schicksal der anderen an? Warum müssen unbedingt die Demokraten dort eingreifen? Oder haben Sie nicht doch eine ganz persönliche Rechnung mit meinem Vater zu begleichen? Ist es das, Mrs. Warrington?«
Rulfan saß mit vorgebeugtem Oberkörper in seinem Sessel und wirkte wie eine stoßbereite Schlange. »Haben Sie es oft bereut, dass Sie meinen Vater damals auf Guernsey haben laufen lassen? Und jetzt bietet sich eine Gelegenheit, das Ganze doch noch zu Ende zu bringen, mit Loomers schwammiger Aussage als Rechtfertigung, mit mir als Druckmittel und Commander Drax und Aruula als Vollstrecker. O ja, meine Liebe, ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen das als Geschenk des Himmels vorkommen muss. So können Sie späte Rache für den Tod von James Dubliner jr. nehmen.«
Josefine Warrington erhob sich, das geschminkte Gesicht wie in Stein gemeißelt. »Hat mich sehr gefreut, mich mit Ihnen zu unterhalten, Rulfan. Sie waren so freundlich, meine Weltsicht um ein paar neue Aspekte zu erweitern.«
Damit verließ sie den Raum.
***
Londoner Zoo, September 2525
Hrrney blickte immer wieder in den Nachthimmel.
»Angst vor den Vultuurs?«, wollte Traysi wissen und begann in diesem Moment erneut, ihn zu beeinflussen. Denn sie wollte weg von Hrrney und war nicht sicher, ob er sie gehen ließ.
Alles drehte sich plötzlich um sie; sie musste sich an einem Baum festhalten, dessen Blätter im Nachtwind rauschten. Doch sie schaffte es, die Barriere in Hrrneys Geist zu durchdringen und Macht über ihn zu gewinnen. Sie musste dafür aber noch mehr Kraft aufwenden als zuvor; vielleicht kam es ihr auch nur so vor.
»Nicht vorr den Vultuurrss. Eluu fliegt ssseit vielen Monden überr Landán. Müsssen immerr auf derr Hut sssein. Komm mit mirr ins Nesst. Ich will, dasss du mich krraulsst.«
Traysi schluckte. Wieder konnte sie Hrrney nicht in ihrem Sinne beeinflussen! Nein, das willst du nicht , dachte sie nachdrücklich. Lass Traysi gehen…
Immer wieder hämmerte sie diesen Befehl in seinen Geist. Hrrney zögerte kurz, sah sie an, war hin und her gerissen. Dann verschwand er wortlos in dem Gebäude, in dem er wohl sein Nest eingerichtet hatte.
Die Barbarin fühlte sich unendlich müde. Jetzt, da die Konzentration auf Hrrney
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