26 - Die Sklavenkarawane
ein zweites Brüllen, welches gleich nach dem Krachen des Gewehres von fern erschollen war, nicht überhören können. Der Slowak war aufgesprungen, Abu Dihk ebenfalls. Sie lauschten, sie vernahmen die Stimme eines zweiten Löwen. Diese erklang aber nicht in einzelnen Abständen wie diejenige des ersten, sondern sie ertönte ununterbrochen fort, nicht so mächtig, nicht mit so donnerndem Schall, sondern in dumpf keuchender Weise; es war ein bissiges, nach Blut lechzendes Stöhnen, aus welchem von Zeit zu Zeit ein knirschender Gaumenlaut hervorbrach wie eine verderblich züngelnde Flamme aus verborgener Glut. Man hörte dieser Stimme deutlich an, daß das Tier sich in raschen Sätzen näherte.
Da dort, wo die drei standen, das Feuer ausgelöscht worden war, so befanden sie sich im dunklen Schatten des Felsens und konnten von den Arabern und Dschellabis nicht gesehen werden, und die letzteren wußten also nicht, welchen Verlauf der Angriff des Löwen genommen hatte.
„Allah il Allah!“ hörte man die Stimme des Scheiks. „Assad Bei, der Herdenwürger, hat alle drei ermordet und liegt nun bei ihren Leichen, um sie aufzufressen. Er hatte seine Frau bei sich, welche die Schüsse hörte und nun herbeigestürzt kommt, um ihm zu helfen. Sie wird sich auf uns werfen und uns zerreißen. Eure Leiber sind verloren, aber rettet eure Seelen, indem ihr mit mir die Sure Jesin betet und dann auch die Sure der Gläubigen, welche die dreiundzwanzigste des Korans ist!“
„Schweig!“ rief Schwarz ihm zu. „Wir leben, und der Löwe ist tot. Durch dein Geschrei machst du seine Sultana auf dich aufmerksam, und sie wird dich fassen!“
„Allah kerihm – Gott ist gnädig!“ antwortete der Feigling. „Ich bin still! Aber schießt sie tot, die Sultana; schießt auch sie tot, damit sie mit ihrem Mann dahin fahre, wo die Hölle am schrecklichsten ist!“
Obgleich Schwarz dem Scheik geantwortet hatte, war er bemüht, jeden Augenblick auszunützen. Er zog zwei Patronen hervor, um seinen Hinterlader wieder schußfertig zu machen.
„Es ist wirklich die Löwin, welche kommt“, sagte der Slowak. „Ich muß auch wieder laden. Wo habe ich nur –“
Er suchte in seinen Hosentaschen nach der Munition.
„Unsinn!“ entgegnete der Deutsche. „Ehe du fertig bist, ist die Löwin da. Bringt euch in Sicherheit! Abu Dihk ist auch wehrlos, da sein Spieß zerbrochen ist. Macht euch fort!“
„Aber meine Kugel wiegt ein ganzes Viertelpfund, während die deinige –“
„Fort, fort!“ unterbrach ihn Schwarz. „Sonst bist du verloren!“
Er war mit dem Laden fertig und kniete wieder an derselben Stelle nieder, an welcher er sich vorher befunden hatte. Er sah sich nicht nach den beiden um und bemerkte also nicht, daß sich nur der ‚Vater des Gelächters‘ zurückzog. Uszkar Istvan, zu deutsch Stephan Pudel, aber blieb. Er drängte sich zwei Schritte weit in das Gestrüpp hinein und lud dort sein Gewehr, was freilich nicht in einigen Augenblicken abgemacht werden konnte. Die Munition hatte er endlich im Gürtel gefunden, wohin sie vorhin, als er sich zum Kampf rüstete, von ihm gesteckt worden war.
Die Stimme der Löwin ertönte jetzt ganz nahe. Das ergrimmte Tier blieb auf der Fährte des Löwen, wandte sich also erst nach der Seite, auf welcher das Feuer brannte, und kam erst dann nach der anderen hinüber. Dadurch gewann der Slowak Zeit, mit seiner Donnerbüchse fertig zu werden.
Man hörte jeden Satz, den die Löwin machte, nicht etwa aus dem Geräusch, welches ihre Pranken auf der Erde hervorbrachten, sondern aus den einzelnen Akzenten ihrer Stimme. Sie bog um das Gestrüpp; jetzt erschien sie an der Ecke desselben. Gewiß wäre sie in ihrer blinden Wut weiter- und an Schwarz vorübergesprungen, wenn dieser nicht, um sie auf sich aufmerksam zu machen, sich hoch aufgerichtet hätte. Sie sah ihn, flog, da sie nicht sofort anzuhalten vermochte, zur Seite gegen den Felsen und duckte sich dort nieder, um den Sprung abzumessen.
Er kniete augenblicklich wieder nieder und richtete den Lauf auf sie. Am Felsen war es dunkler; ihre Gestalt war selbst in den Umrissen nur schwer zu erkennen. Die Löwin war vom Zorn aufgeregt, also mußte Schwarz annehmen, daß ihr Sprung nicht in der vorhin bei dem Löwen beschriebenen Weise, sondern viel schneller, hastiger erfolgen werde. Es war nicht anzunehmen, daß sie die Augen langsam öffnen werde.
Diese Voraussetzung war sehr richtig, denn kaum hatte sie sich niedergeduckt, so glühten ihre
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