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26 - Die Sklavenkarawane

26 - Die Sklavenkarawane

Titel: 26 - Die Sklavenkarawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anzuschicken. Dieser Meinung schien der ‚Vater der elf Haare‘ aber nicht zu sein, denn er raunte ihm zu: „Jetzt ist die richtige Zeit. Schieß nun!“
    „Nein; noch warten!“ antwortete Schwarz.
    „So schieße ich, denn dann ist es zu spät.“
    „Um Gottes willen noch nicht, weil –“
    Er konnte nicht weiterreden; seine Warnung kam zu spät, denn zugleich mit seinen Worten hatte der Slowak den Lauf seines ‚Elefantenmörders‘ auf den Kopf des Löwen gerichtet. Das alte Mordgewehr war nicht gut gehalten worden. Wer weiß, wann der jetzige Besitzer den letzten Schuß aus demselben abgegeben hatte. Darum bewegten sich die Teile des Schlosses nur schwer. Der ‚Sohn der Blattern‘ mußte alle Kraft seines Zeigefingers anwenden, um abzudrücken, und dadurch kam der Lauf aus der Lage. Der Schuß krachte, und der Kolben der hochbejahrten Donnerbüchse schlug dem Kleinen mit solcher Gewalt gegen den Kopf, daß der Getroffene das Gewehr fallen ließ und in seiner slowakischen Muttersprache ausrief: „Jakowa bezotschiwortj! Idi do tscherta – welche Unverschämtheit! Geh zum Henker!“
    Mit der einen Hand den Kopf haltend, stieß er mit der andern den Elefantentöter weit von sich fort. Der Schlag schmerzte ihn so, daß er nur an die ‚Unverschämtheit‘ des Gewehres, nicht aber an den Löwen dachte.
    Dieser war, als der Schuß krachte, aufgesprungen. Seine Augen weit öffnend, stieß er ein markerschütterndes Brüllen aus und setzte zum Sprung an. Schwarz hatte glücklicherweise seine Geistesgegenwart nicht verloren. Er drückte auf das linke Auge des Löwen ab und rief zu gleicher Zeit dem Ungarn zu: „Wirf dich zur Seite! Schnell, schnell!“
    Der Genannte folgte diesem Gebot, indem er sich augenblicklich bis an die Wand des Felsens schnellte. Ob die Kugel in das Auge gedrungen sei, konnte Schwarz nicht sehen, denn kaum hatte sein Schuß gekracht, so befand der Löwe sich schon mitten im Sprung in der Luft. Schwarz zielte kaltblütig nach der Gegend des Herzens, drückte ab und warf sich sofort mit solcher Gewalt nach links, daß er mit dem halben Körper zwischen die dichten Büsche hineinflog.
    Die ungeheure und schier unglaubliche Sprungkraft des Löwen trug ihn von der Stelle, an welcher er gelegen hatte, genau bis dahin, wo die beiden Schützen sich soeben noch befunden hatten. Wären sie noch da gewesen, so hätte er sicherlich beide erfaßt. Jetzt kniete nur noch Abu Dihk, der ‚Vater des Gelächters‘, dort. So klein die Gestalt dieses wackeren Händlers, so groß war seine Unerschrockenheit. Es war ihm eingefallen, die letzte Warnung des Deutschen auf sich zu beziehen und sich auch in Sicherheit zu bringen. Auch er hatte keinen Blick von dem Löwen gewendet, er sah ihn springen; er sah ferner, daß das Tier zwei Schritt vorwärts, da wo die Schützen gelegen hatten, die Erde berühren werde. Schnell avancierte er, stemmte seinen Spieß von neuem ein, richtete die Spitze desselben auf den Leib des Löwen und ließ in dem Augenblick, als sie sich einbohrte, die Lanze los und wälzte sich behend nach links, wo Schwarz lag oder vielmehr gelegen hatte, denn dieser war sofort wieder aufgesprungen und hatte das lange Messer gezogen, welches in seinem Gürtel steckte, um sein Leben Auge in Auge mit dem Raubtier zu verteidigen, falls dasselbe nicht zu Tode getroffen sei.
    Diese Vorsicht erwies sich glücklicherweise als überflüssig. Man hörte das scharfe Geräusch der zerbrechenden Lanze; der Löwe schlug auf den Boden nieder, erhob sich sofort wieder – ein sichtbares Zittern ging durch seine mächtigen Glieder – man sah ihn wanken – er wandte sich nach links, wo Schwarz und Abu Dihk sich befanden, holte zum abermaligen Sprung aus, kam aber nicht von der Stelle. Ein kurzes, klagendes und schnell ersterbendes Gebrüll ausstoßend, brach er zusammen, legte sich zur Seite und dann auf den Rücken, zog die zuckenden Pranken an den Leib, streckte sie wieder aus und – blieb dann bewegungslos liegen.
    Das war natürlich alles viel, viel schneller geschehen, als es erzählt werden kann, doch in solchen Fällen werden die Augenblicke zu Sekunden und die Sekunden zu Minuten, und der Geist des Menschen arbeitet so rapid schnell, daß zehn Entschlüsse sich in der Zeit folgen, welche sonst ein einziger Gedanke erfordert.
    Die drei mutigen Männer hatten keine Zeit, sich zu überzeugen, ob der Löwe tot sei. Obgleich ihre Aufmerksamkeit zunächst auf ihn gerichtet gewesen war, hatten sie doch

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