263 - Von Menschen und Echsen
charakterliche Wandlung Juneedas zur Kenntnis. Die Larve war dafür verantwortlich, keine Frage. Sie beeinflusste ihr Opfer, sodass die Schamanin von diesem Augenblick an Hermon als ihren Herrn anerkannte.
Grao hatte schon gehört, dass der Händler gut mit Tieren umgehen konnte. Er hielt sich Raubvögel, die er für die Jagd züchtete, und domestizierte Wisaaun. Nun, da er die Wandlung Juneedas mit eigenen Augen miterlebt hatte, musste er diese Begabung unter einem anderen Licht beurteilen. Womöglich konnte Hermon die Tiere kraft seines Willens beeinflussen, so wie manche Frau der Dreizehn Inseln die Gedanken anderer Menschen erlauschen konnte.
Was ihn zur nächsten Frage brachte: War Hermon ein Mutant? Hatten die Daa'muren durch Experimente, die sie über mehrere Jahrhunderte hinweg an den Primärrassenvertretern vollzogen hatten, einen unerwarteten Prozess in Gang gebracht, dessen Ergebnis er nun vor sich sah?
»Wir müssen etwas unternehmen!«, forderte Bahafaa zum wiederholten Male.
»Du hast recht.« Ein Teil von ihm beharrte nach wie vor darauf, dass ihn diese Dinge nichts angingen. Er sollte von den Inseln verschwinden und sich um seine eigenen Probleme kümmern. Ein anderer drängte ihn, zu Gunsten seiner Begleiterin und ihrer Landsleute zu intervenieren.
Er fühlte Bahafaas Wärme. Sie lehnte sich an ihn, schutzsuchend und hilfebedürftig. Ihre körperliche Nähe irritierte ihn und bewirkte, dass die strenge Vernunft, der Grao so lange gehorcht hatte, seltsamer Verwirrung Platz machte.
»Wir ziehen uns zurück«, flüsterte er und zog Bahafaa mit sich. »Alleine kann ich nichts gegen Hermon und all die Frauen ausrichten, die er bereits beeinflusst hat. Aber morgen rufe ich einen Freund zu Hilfe. Wir kümmern uns um deine Kameradinnen.«
Er überlegte, ob er während der Nachtstunden versuchen sollte, Hermon zu überrumpeln, verwarf den Gedanken aber. Er wusste nicht, welche Tricks der Händler sonst noch auf Lager hatte.
»Versprichst du's mir?«, keuchte die Frau, vom raschen Lauf in Richtung ihrer Hütte gehörig außer Atem geraten.
»Ich verspreche es dir.«
»Danke.« Bahafaa schob ihn ins Innere der Hütte und verriegelte die Tür hinter sich. Sie hängte eine Kanne Wasser auf den Haltespieß der Feuerstelle. Der Duft frischer Minze breitete sich im Raum aus. Er wirkte beruhigend auf die Frau - und auch auf ihn.
Nach einer Weile goss Bahafaa die heiße Brühe in Holzkelche und reichte ihm schweigend einen davon. Seltsam. Warum redete sie nicht über das Gesehene? Wollte sie denn die Situation nicht analysieren und hören, was er zur Rettung der Frauen des Dorfes und der Insel geplant hatte?
»Ich möchte, dass du heute bei mir schläfst«, sagte sie bestimmt.
Grao war versucht, den Tee zurück in den Becher zu spucken. Heute? Jetzt? Unter diesen Umständen gab sie ihre Reserviertheit auf und wollte ihn bei sich haben?
»Das mache ich«, meinte er unbeholfen und wusste augenblicklich, dass er die falschen Worte gewählt hatte. Unternimm etwas , sagte er sich, bevor sie sich zurückzieht!
Grao nahm sie an den Armen und zog sie hin zur Bettstätte. Vorsichtig, um sie nicht zu verletzen, und doch fest genug, um ihr seine Entschlossenheit zu demonstrieren. Der Tanz entlang menschlicher Emotionen musste wie auf Eiern erfolgen, wollte er alles richtig machen.
Er küsste sie, und er liebte sie. Grao gelang es, seine Fehlerquote in der Imitation menschlicher Verhaltensweisen gering zu halten - und er genoss den Geschlechtsakt.
***
Er fühlte sich seltsam erfrischt, als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Er hatte so gut wie schon lange nicht mehr geschlafen. Er benötigte diese Ruhephasen, um die Tarngestalt dauerhaft aufrecht zu erhalten; außerdem halfen sie ihm, zusätzliche Ordnung in seine Gedanken zu bringen und sie neu zu fokussieren.
An diesem prachtvollen Wintertag war alles ganz anders. Grao stülpte die Lippen und pfiff eine Melodie, die er irgendwo aufgeschnappt hatte, während er Holz vom Stapel holte, sich vor den Kamin kniete und das nur noch glosende Feuer mit mehreren Scheiten fütterte. Ein wenig Schnee war gefallen, die Kristalle glänzten im Licht einer matt scheinenden Sonne.
»Guten Morgen«, sagte Bahafaa. Sie beugte sich zu ihm herab und hauchte ihm einen Kuss in den Nacken. »Du fühlst dich immer so schön warm an.«
»Ich bin sehr hitzig«, murmelte Grao unbeholfen.
»Sollte ich dies für einen Anflug von Humor halten?« Bahafaa lächelte und zeigte
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