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263 - Von Menschen und Echsen

263 - Von Menschen und Echsen

Titel: 263 - Von Menschen und Echsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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mitgebracht hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass kein Blut floss, bevor der Tag zur Neige ging.
    »Wir müssen dringend etwas unternehmen!«, sagte Bahafaa. Niemals zuvor war sie so froh gewesen, Groom bei sich zu haben. Er verstand sie, er teilte ihre Meinung.
    »Wir werden etwas unternehmen«, bestätigte er. »Wir setzen Hermon einen Lockvogel vor die Nase und sehen zu, was er mit seiner Beute anfängt.«
    »Einen Lockvogel? Ich verstehe nicht…«
    »Die Logik sagt mir, dass wir nicht offen gegen Hermon vorgehen dürfen. Deine beeinflussten Kameradinnen würden uns in der Luft zerreißen. Also werden wir dem Händler jemanden zum Fraß vorwerfen und beobachten, was er mit ihm anstellt.«
    »Du willst eine Kriegerin opfern ?«, fragte Bahafaa entsetzt.
    »Die Rettung deines Volkes rechtfertigt den Verlust einer einzelnen Person. Findest du nicht?« Groom verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte so kühl, so gelassen.
    »Ja«, sagte Bahafaa schweren Herzens.
    Die Sonne ging an diesem wunderschönen spätherbstlichen Tag in bunter Farbenpracht unter. Die Temperaturen fielen rasch; der Winter stand endgültig vor der Tür. Mehrere Zwerglischetten umtanzten die Hütte in den letzten Lichtstrahlen. Seltsam, dass sie zu dieser Jahreszeit noch schwärmten…
    ***
    »Leise jetzt!«, flüsterte Groom ihr zu. Sie drückten sich eng an die Rückwand von Hermons Hütte und lugten durch einen dünnen Spalt ins Innere. Es war eisig kalt, ihre Atemluft gefror zu weißen Wolken. Juneeda betrat soeben die Hütte des Händlers.
    Juneeda - ihr Lockvogel.
    »Welch Glanz in meiner Hütte!«, empfing der Händler seinen Gast. »Ich dachte schon, ich würde dich niemals bei mir begrüßen dürfen.«
    »Ich bin nicht gekommen, um mir deine Schmeicheleien anzuhören«, meinte die Schamanin reserviert. »Ich interessiere mich vielmehr für Brythuula und die beiden Mädchen, die du mit dir brachtest. Sie benötigen Heilung und Pflege.«
    Bahafaa hatte die Bitte an die Schamanin herangetragen. Juneeda war erstaunt gewesen; sie selbst hatte den schlechten Zustand der drei gar nicht bemerkt. Aber ihre Position verlangte, dass sie dem Hinweis nachging.
    »Es geht ihnen gut.« Nicht einmal ein Hauch von Besorgnis oder Angst lag in Hermons Stimme. »Die Reise war anstrengend, die drei sind die Widernisse einer Seefahrt nicht gewohnt.«
    »Wunden und blaue Flecken haben wohl kaum mit Seekrankheit zu tun«, zweifelte Juneeda. »Wenn du erlaubst…«
    »Selbstverständlich. Ich habe nichts zu verbergen.«
    Für eine Weile gerieten Mann und Frau aus Bahafaas Gesichtsfeld, auch ihre Stimmen verstummten. Dann:
    »Möchtest du einen Schluck gegorenen Brabeelensaft?«, fragte Hermon. »Er vertreibt die Kälte der Nacht.«
    »Meinetwegen«, murmelte Juneeda geistesabwesend. Offenbar war sie mit der Untersuchung Brythuulas und der beiden anderen Mädchen beschäftigt.
    »Macht er sie etwa mit einer Droge gefügig, die er in den Alk gemischt hat?«, wandte sich Bahafaa an ihren Begleiter. »Wir müssen eingreifen -«
    »Still!«, zischte Groom. Er drängte sich eng an die Wand; so nahe, als wollte er Kopf und Körper zwischen den Holzlatten hindurchpressen.
    Flüssigkeit gluckerte in zwei Gefäße, Hermon summte eine Melodie. Das Ächzen und Wehklagen eines der Mädchen war zu vernehmen.
    »Was hast du bloß mit ihnen angestellt?«, fragte Juneeda mit Entrüstung in der Stimme. »Alle drei sind dem Tod näher als dem Leben.«
    »Wie ich schon sagte: Die Überfahrt war schwierig. Wir dürfen froh sein, den spätherbstlichen Unwettern entkommen zu sein. Hier, trink!«
    Tu es nicht! , bat Bahafaa in Gedanken. Wie konnte die Schamanin bloß so naiv sein und dem Händler vertrauen?
    »Groom…«
    »Sei ruhig!« Seine Stimme klang befehlsgewohnt, wie sie es noch niemals zuvor von einem Mann gehört hatte. »Ich muss wissen, was Hermon vorhat.« Er scherte sich keinen Deut um Juneedas Leben. Sie war für ihn Mittel zum Zweck; der Köder, den er benötigte, um seine Beute in die Falle zu locken.
    Die Schamanin stürzte den Brabeelensaft in einem Zug hinunter, knallte den hölzernen Becher auf den Tisch und kümmerte sich gleich darauf wieder um ihre drei Patientinnen.
    »Es ist nicht der Alk«, flüsterte Groom nach einer Weile. Erleichtert atmete Bahafaa durch.
    Wiederum verging Zeit. Juneeda kümmerte sich fürsorglich um Brythuula und die beiden anderen Frauen, während Hermon munter drauflos plapperte. Er tat so, als hätte er ein reines Gewissen, und

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