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265 - Das letzte Tabu

265 - Das letzte Tabu

Titel: 265 - Das letzte Tabu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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dessen und derer darin, die jemals physikalisch den Strahl durchquert hatten.
    »Blaupausen« nannten die Städter diese nie verwehenden Spuren. Es waren Imprints, Momentaufnahmen, die den Strahl aus eigener Kraft nie mehr verlassen konnten. Graulicht hatte in der kurzen Zeit, seit er zum Weltenwanderer geweiht worden war, bereits eine immense Zahl von »Geistern« geschaut. Die meisten waren hydreeischen Ursprungs, aber hin und wieder mischten sich auch Menschen dazwischen.
    Oder Objekte , die ihn in ihren Bann zogen.
    Eigentlich waren es immer die Dinge , die seine Neugier schürten. Und so ließ er auch bei diesem Besuch die wie eingefroren herumschwebenden Gestalten, die einmal aus Fleisch und Blut gewesen waren, außen vor, registrierte sie fast beiläufig.
    Inmitten des Zwielichts schälten sich die Umrisse eines enormen Gebildes heraus. Es war ein Flugzeug von gewaltigen Ausmaßen, das da vor ihm in der schlauchartigen Weite dieses Kosmos trieb. Von außen betrachtet war der Zeitstrahl an seiner Austrittsstelle im Mie-Krater kaum dicker als zwei Meter im Durchmesser. Doch auf seiner langen Reise durch das All weitete er sich aus, mehr und mehr, bis er an seinem Zielort, der Erde, schließlich eine Stärke von fast zweihundert Metern aufwies.
    Groß genug, um einen Jet wie diesen, der das Pech hatte, irgendwann die Bahn des Phänomens zu kreuzen, vollständig in sich aufzunehmen. Die Maschine selbst hatte den Strahl längst verlassen, war in einer fernen Zukunft wieder zum Vorschein gekommen, aber ihr Abdruck war hier im Strahl auf ewig gespeichert - zumindest solange man ihn nicht abschaltete.
    Graulicht merkte kaum, wie er selbst Fahrt aufnahm und auf die unerwartete Entdeckung zuhielt. Wenig später - ein subjektiver Zeiteindruck, der in dieser Sphäre nichts bedeutete - erreichte der Geistwanderer die verfälscht wahrnehmbare Hülle des Fliegers.
    Blaupausen waren nicht identisch mit dem Original. Die Farben waren andere, die scheinbare Festigkeit des Materials entlarvte bereits ein flüchtiger Blick als Täuschung. Einem Spuk ähnlicher als etwas Echtem präsentierte sich alles, was in diesem Medium eingesperrt dahintrieb.
    Oder war »treiben« bereits die falsche Vokabel? Wahrscheinlich bewegte sich nur der Geist des Wanderers. Die Objekte und Subjekte hingen eher wie festgefroren im dunstigen Atem einer unfassbaren Technologie.
    Graulicht hielt sich nicht lange mit der Betrachtung des Jets auf. Er durchglitt die Flugzeugwandung…
    ... und fand sich unversehens im Passagierbereich wieder.
    Auch hier war alles erstarrt, alles in der Bewegung eingefroren, jede Nuance der etwa dreihundert Mienenspiele. So viele Insassen hatte das Flugzeug.
    Langsam glitt sein Geist den Gang zwischen den beidseitigen Sitzreihen hindurch. Mehr denn je fühlte sich Graulicht in die Momentaufnahme der verschiedenen Schicksale hineingezogen, die sich ihm hier präsentierten, ohne dass die einzelnen Figuren ihn wahrnehmen oder in eine Interaktion mit ihm treten konnten.
    Für einen Moment kam er sich gottähnlich vor. Ihn schauderte, als er an das Mögliche dachte… das doch unmöglich war, weil es den ehernen Kodex der Weltenwanderer verletzt hätte.
    Er schüttelte den wirren Gedanken ab, erlaubte ihm nicht einmal, richtig an die Oberfläche seines Bewusstseins zu steigen.
    Auf den Gesichtern der meisten Passagiere sah er Verzweiflung, Todesangst. Sie mussten das Unheil kommen gesehen haben. Vielleicht hatte das Bordpersonal sie vorgewarnt, dass sie geradewegs in etwas Unerklärliches hineinsteuerten, eine Anomalie, von der niemand hier die wahre Natur auch nur hatte ahnen können…
    Vielleicht.
    Ebenso gut konnten sie völlig überrascht worden sein und die Grimassen erklärten sich aus dem winzigen Moment des Übergangs, in dem das Flugzeug eingetaucht war in die Welt des Strahls.
    Zum ersten Mal, seit er in den Jet eingetaucht war, bereute er es, seiner Neugierde gefolgt zu sein. Mit dieser für die Ewigkeit konservierten Tragik hatte er nicht gerechnet, obwohl er es hätte voraussehen müssen .
    Er widerstand der Versuchung, mit seiner Geisthand über das tränennasse Gesicht eines Kindes zu streichen. Er hätte ihm keinen Mut zusprechen, keinen Trost spenden können. Er fragte sich, was aus dem Jungen geworden war nach dem Durchqueren des Strahls. Was aus all denen, die ihn umgaben.
    Wahrscheinlich war die Maschine nach Verlassen des Strahls abgestürzt. Wahrscheinlich hatte es keine Überlebenden gegeben.
    Graulicht

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