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265 - Das letzte Tabu

265 - Das letzte Tabu

Titel: 265 - Das letzte Tabu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Benimmschule.«
    »Frauen den Vortritt in brenzligen Situationen zu lassen?« Clarice hob die Brauen.
    »Einigen wir uns darauf: Wenn wir's mit einer Frau zu tun kriegen, wickle ich sie um den Finger, bei einem Mann bist du am Zug. Einverstanden?«
    »Tolle Taktik.«
    Dann standen sie vor der Pforte. Und hatten ein Problem. Der Pförtner war weder Mann noch Frau. Eine seltsam geschlechtslos anmutende animierte Figur, ein Gemisch aus männlichen und weiblichen Erscheinungsmerkmalen, richtete die emotionslose Frage an sie: »Womit, kann ich dienen? Sind Sie angemeldet?«
    »Ja«, log Vogler dreist, nachdem er seine erste Überraschung überwunden hatte.
    »Wie ist der Name Ihrer Kontaktperson?«
    »Habe ich vergessen. Wir kommen wegen der Sendung, die kürzlich eingetroffen ist. Ein Kryo-Sarg mit einem Fremdwesen darin, das hier unter -«
    »Wie heißt Ihre Kontaktperson?«, fiel ihm die rechnergenerierte Stimme ins Wort.
    »Unbekannt.«
    »Eine Person dieses Namens arbeitet hier nicht. Sie müssen sich irren. Guten Weg!«
    Das Bild auf der Scheibe wechselte. Seichte Musik erklang. Marslandschaften, aus der Luft aufgenommen, sollten wahrscheinlich beruhigend auf den Betrachter einwirken.
    Vogler wollte sich aber nicht beruhigen. Er stand kurz davor, zu platzen. »So kann das Ding nicht mit uns umspringen!« Er hämmerte mit der Faust gegen die Scheibe.
    Sofort erklang ein Alarmton. Der künstliche Pförtner kehrte zurück. Seine Stimme klang jetzt drohend. »Unterlassen Sie jede Gewaltanwendung und gehen Sie unverzüglich. Bei einem erneuten Angriff bin ich gezwungen, weiterführende Maßnahmen einzuleiten, die Sie bedauern würden. Im Namen friedlicher Koexistenz: Verlassen Sie den Zugangsbereich der Firma.«
    Clarice zog Vogler mit sich zurück zum Schweber. »So hat das keinen Sinn. Man muss auch wissen, wann man gescheitert ist.«
    »Wir haben nichts erreicht«, begehrte Vogler auf.
    »Eben.«
    »Das heißt?«
    »Kriegsrat.«
    »Wir beide?«
    »Nicht nur. Wir ziehen noch zwei hinzu. Zwei, die schon oft eine zündende Idee hatten… und vielleicht haben sie momentan auch den besseren Draht zu den Entscheidern. So wie es aussieht, können wir Hi'schi nur helfen, wenn wir Hilfe von ganz oben bekommen.«
    »Wie weit oben?«
    »Die Präsidentin?«
    ***
    Sie erreichten den Kanal. Er war lang und gerade und kühl und nass und nachtschimmernd. »Ich wollte schon immer einen Marsianer sehen«, sagte Michael. »Wo sind sie, Paps? Du hast uns welche versprochen.« - »Da sind sie«, sagte Paps, und er hob Michael auf seine Schulter und zeigte nach unten. Und da waren die Marsianer. Timothy begann zu zittern. Die Marsianer blickten sie an - Spiegelbilder im Wasser des Kanals. Timothy und Michael und Robert und Mama und Paps. Und von der gekräuselten Wasseroberfläche starrten die Marsianer lange, lange Zeit stumm zu ihnen herauf…
    Ray Bradbury, Die Mars-Chroniken
     
    Als er erwachte, war Audrey verschwunden. Der Riegel an der Tür war zurückgeschoben. Graulicht erschrak, denn es war dunkel. Die Nacht war hereingebrochen. Nur die über die Decke verteilten Pilzkolonien streuten etwas phosphoreszierendes Licht, gerade genug, um die Einrichtung - und Audreys Fehlen - zu erkennen.
    Hatte seine Mutter versucht, sie zu rufen, aber die verschlossene Tür als das verstanden und respektiert, was sie signalisieren sollte? Er spürte, wie die Scham ihm die Röte ins Gesicht trieb.
    Saft- und kraftlos stand er auf. Wankte zur Tür.
    Draußen lag das Flurstück, das zur Treppe in die unteren und oberen Etagen führte, verlassen und in ähnliches Zwielicht gehüllt, wie es in der Stube herrschte.
    Graulicht wollte gerade auf den Gang schlüpfen… als jemand die Treppe heraufkam.
    Es war Audrey.
    Stumm kehrte sie zurück ins Zimmer. Im Vorbeigehen strich sie in zärtlicher Geste, die allen Ärger, alle Sorge und Furcht zerstreute, über seine Wange.
    Graulicht erbebte. »Wo warst du?«
    Wie hätte sie ihm antworten sollen? Sie legte sich zurück aufs Bett, schälte sich aus ihren Kleidern. Mit solcher Anmut und aufreizender Unschuld, dass er nicht anders konnte, als wortlos die Tür zurück ins Schloss zu drücken und zu ihr zu wanken.
    Wie müde er war. Wie leer und ausgelaugt. Der Zustand erinnerte ihn an die sehnsuchtsgeladene Zeit, bevor er Audrey aus dem Totenreich zu sich geholt hatte.
    Totenreich - ja, nichts anderes war es. Der Strahl, der ihn stets fasziniert und gelockt hatte… nun, da er wusste, dass er unschuldiges Leben

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