Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
265 - Das letzte Tabu

265 - Das letzte Tabu

Titel: 265 - Das letzte Tabu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
eingetroffen sind.«
    »Vor kurzem erst. Sie ist… krank. Nichts Ansteckendes, keine Sorge; aber sie verlor ihre Sprache… den Kontakt zur Außenwelt.« Er zögerte. »Es muss während des Kälteschlafs während der langen Reise passiert sein. Man vertraute sie mir an, damit ich versuchen kann, sie mit unseren Mitteln zu heilen.«
    Sein Vater schwieg. Erst nach einer langen Weile sagte er. »Du musst wissen, was du tust.« Nun ruhte sein Blick auf Audrey. »Warum die Maskerade?« Er meinte die Linien, die Graulicht ihr aufgemalt hatte. Sie waren durchaus gelungen, aber nicht gut genug für jemanden, der genau hinsah.
    »Ich dachte mir, es würde sie vor allzu neugierigen Blicken schützen.«
    »Sie soll es abwaschen. Es beleidigt meine Augen.«
    Audrey reagierte nicht.
    »Versteht sie mich nicht?«
    »Ich sagte es schon: Sie lebt in ihrer eigenen, inneren Welt.«
    »Dann wird sie dir viel Mühe machen. Du wirst Unterstützung brauchen…«
    »Nein!«, beeilte sich Graulicht zu sagen. »Sie braucht vor allem Ruhe… so wie ich auch.«
    »Du bist stets willkommen.«
    Graulicht wusste, dass sein Vater nicht zufällig darauf verzichtete, Audrey in das Willkommen mit einzubeziehen. Er tat selten etwas gedankenlos.
    Graulichts Mutter im Hintergrund machte ein Zeichen, mit dem sie ihren Sohn um Geduld mit der Kompromisslosigkeit des Vaters zu bitten schien.
    Graulicht bemühte sich, dieses erste Wiedersehen nach langer Zeit nicht ausufern zu lassen. Er schützte Müdigkeit als Grund für den baldigen Rückzug vor. Auf ihn bezogen entsprach das sogar den Tatsachen. Audrey hingegen wirkte noch so frisch wie bei ihrem Aufbruch aus Utopia.
    Seine Mutter begleitete sie in die Etage, in der sein altes Zimmer lag. Es war unverändert. »Braucht sie… einen eigenen Raum?«
    Graulicht schüttelte den Kopf. »Das wird nicht nötig sein. Bis später, Mutter.«
    »Ich rufe, wenn das Essen fertig ist.«
    »Falls wir dann hungrig sind…«
    »Ich rufe«, wiederholte sie, als hätte es seinen Einwand nicht gegeben.
    Mit der Distanz mehrwöchiger Abwesenheit fiel ihm zum ersten Mal auf, wie gebeugt sie ging, wie matt ihr Blick und wie faltenreich ihr Gesicht geworden war.
    Ihm wurde klamm ums Herz.
    Er schloss hinter ihr die Tür. Es gab einen Riegel, den er früher so gut wie nie benutzt hatte. Jetzt schob er ihn vor.
    Dann legte er sich mit Audrey auf das wohl vertraute Bett und ließ sich bereitwillig in eine sorgenfreie Welt entführen. Wobei er darauf achtete, leise zu sein. Ganz, ganz leise.
    ***
    15. April 2526 (Erdzeit), Elysium
    Mit Betreten des Saals erstarben alle Gespräche. Blicke und Gesichter, die geübt waren im Verschleiern und Taktieren, wandten sich Commander Matthew Drax zu. Er schritt neben Aruula in den Ratssaal. Ihre Arme pendelten im Takt ihrer Schritte und im Gleichklang hin und her, berührten sich aber nicht. Das war auch nicht nötig. Die Nähe des anderen war ihnen moralische Stütze genug.
    Zumindest empfand Matt dies so, und er hoffte, dass er auch seiner Gefährtin den Rücken stärkte. Sie musste viel auf sich nehmen, dessen war er sich bewusst. Für sie war der Eintritt in die marsianische Kultur um vieles brachialer als für ihn bei seinem ersten Besuch. Auf der Erde hatte Aruula sich ganz allmählich an die verschiedenen Facetten von Technik gewöhnen können. Jetzt in eine hochtechnisierte Umgebung einzutauchen, ohne in der Flut aus Sinnesreizen unterzugehen, war eine ganz eigene Kunst.
    Vielleicht spürte sie trotz des Telepathieblockers, wie stolz er gerade in diesem Moment, da sie vor die regierende Elite der marsianischen Zivilisation traten, auf sie war. Die Empathie, die von Anfang an zwischen ihnen geherrscht hatte, brauchte keine übersinnliche Bestätigung.
    Die Ordonanz, edel in golden eingefärbte Marsseide gekleidet, führte sie zu dem Podest, wo Maya Joy Tsuyoshi hinter einem schmalen Hightech-Pult stand, das alles beinhaltete, was nötig war, um ihre noble Erscheinung von jedem Punkt des Saales aus genießen zu können. Die Friedenspräsidentin war von einer getragenen Schönheit, die - davon war Matt überzeugt - nicht einmal in Aruula auch nur einen Anflug von Rivalität erzeugt hätte. Schwarzblaues Haar umrahmte ein fast elfengleiches Gesicht, das gleichermaßen das Gefühl vermittelte, es mit einer Frau zu tun zu haben, die fest im Leben stand und doch noch Träume hatte.
    Sie hatte in den Jahren, die Matt fort gewesen war, noch einmal einen Reife- und Entwicklungssprung vollzogen.

Weitere Kostenlose Bücher