272 - Dieser Hunger nach Leben
Himmler freundlich.
Nun wusste Kraft, warum er so unruhig war. Das roch nach mächtigem Ärger. Denn dies war eine seiner völlig frei erfundenen »Prophezeiungen« gewesen. In den Augen Himmlers suchte Kraft nach Hohn oder Wut… aber da war tatsächlich nichts außer Bewunderung.
»Sind Sie bereits auf das Öl gestoßen?«, fragte Kraft lahm.
»Nein, noch nicht. Dafür aber auf etwas, das in der Tat kriegsentscheidend sein kann!« Mit diesen Worten zog Himmler das Tuch von dem Gegenstand auf dem Tisch.
Paul Kraft starrte ungläubig auf den bernsteinfarbenen, halb transparenten Brocken, in dessen Zentrum ein dunkelroter Kern pulsierte, fast wie ein Herz. Es lief ihm eiskalt über den Rücken. »Was… um alles in der Welt ist denn das?«
»Das eben wollen wir von Ihnen wissen, Kraft. Dieses… Ding wurde vor einigen Wochen aus dem Boden des von Ihnen benannten Areals geholt. Als eine Geologin es berührte, versteinerte sie sofort.«
Kraft wurde schlagartig bleich. In diesem Moment wurde ihm klar, was da draußen vor der Tür stand.
»Ich… ich…«, stotterte er. »Das kann doch nicht sein. Ich meine, da steht doch Batumi, Rumänien drauf.« Er wies auf den eingebrannten Stempel, der das Fundstück bürokratisch korrekt als Eigentum der Nazis auswies.
»Ein kleiner Trick, mein Lieber, um den Fundort zu verschleiern. Das Ganze ist natürlich eine geheime Kommandosache und unterliegt der allerhöchsten Geheimhaltung. Nun, der leuchtende Stein wurde in Harz gegossen, was ihn anscheinend ungefährlich macht, und ins Reichssicherheitshauptamt und danach zum Ahnenerbe gebracht. Dort blieb er bedauerlicherweise einige Wochen liegen, weil mich dringende Angelegenheiten im Osten festhielten. Kurzum: Wir vermuten, dass es sich bei diesem Stein um eine okkulte Reliquie handelt, vielleicht sogar um eine Art überirdische Intelligenz. Und Sie sollen versuchen, Kontakt mit dem Ding aufzunehmen!«
Alle sechs SS-Männer starrten das Medium gespannt an.
Kraft nickte. »Gleich?«
»Natürlich gleich. Glauben Sie, wir können uns noch großartige Verzögerungen leisten?«
»Also gut. Äh ja, nun, ich kann es versuchen. Aber dazu müssten Sie mich alleine lassen, wegen der Konzentration.«
Eine Minute später hatten die anderen den Raum verlassen, auch Himmler. Kraft zog sich einen Stuhl heran und setzte sich vor den Stein. Nicht einen Moment glaubte er an eine überirdische Intelligenz, die Menschen versteinerte.
Will Himmler mich etwa testen? Hat er die Statue extra anfertigen lassen, damit ich diesen kruden Blödsinn bestätige und damit in die Falle tappe?
Trotzdem… irgendwo im hintersten Winkel seines Hirns zweifelte er an seiner eigenen Theorie. Was nahm sein Unterbewusstsein wahr, das er bewusst noch nicht greifen konnte?
Er beschloss, auf seinen Instinkt zu vertrauen. Behutsam versetzte er sich in Trance, nachdem er seine Hand auf den Harzmantel des Steins gelegt hatte. Als er eine gewisse Intensität erreichte, spürte er, wie sich sein Geist von ihm löste und auf Wanderschaft ging.
Verwirrende Bilder stürzten auf ihn ein, Szenen aus allen Zeitepochen, die sich zu neuen Szenen verbanden, sich überlagerten, kreuz und quer durch den Raum vagabundierten.
Das kannte Kraft alles schon. Sein Geist wurde mächtiger, lud sich mit der Energie dieser Räume auf, stieß durch Grenzen und stieg in höhere Sphären auf. Hier war er auch schon Geistern von Toten begegnet, hatte sich aber nur ein paar Mal auf sie eingelassen, weil sie zumeist verwirrt und damit ziemlich anstrengend waren. Noch eine Grenze musste er durchstoßen, dann würde das Licht ihn überfluten. Dann war er in dem Raum, der alle Antworten für ihn bereithielt.
Jetzt!
Übergangslos blendete ihn das grelle weiße Licht. Gleichzeitig bekam er Kontakt. Da war jemand… etwas! Er spürte die Präsenz eines anderen Wesens, das sich als dunkelgrauer, wallender, anmutig tanzender Schleier inmitten des wunderbaren Lichts präsentierte.
Wer bist du? , fragte Kraft.
Ich.
Kraft erschrak, als das Wort in seinen Gedanken entstand. Er hatte nicht damit gerechnet, Antwort zu erhalten. Doch seltsam - es war seine eigene Stimme, die er hörte. Als hätte er selbst formuliert, was ihm ein anderer, allzu fremder Geist zugetragen hatte. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen.
Wie ist dein Name? , fragte er dann weiter.
Was ist das, ein Name?
Wieder seine eigene Stimme, von ihm selbst gedacht. Doch Kraft hatte keinen Zweifel daran, dass die Worte
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