276 - Die Genesis des Arthur Crow
zu haben.
Im Nachhinein hatte sie sich oft gefragt, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn Maddrax nicht quer durch die Zeiten und quasi vor ihre Füße gefallen wäre. Eine letztgültige Antwort darauf würde sie niemals finden, das war ihr bewusst.
Und sie brauchte sie auch nicht.
Alles war gut, solange sie zusammen waren. Auch wenn ihre Beziehung auf manch harte Probe gestellt wurde…
Ohne es verhindern zu wollen, schweiften ihre Gedanken, während sie sich weiter von der Hütte entfernte und dem Meer zuwandte, zu Matjunis… oder Daa'tan, wie ihn die Daa'muren genannt hatten, den sie auf eine ganz andere Weise geliebt hatte.
Maddrax hatte ihren gemeinsamen Sohn, der von den außerirdischen Invasoren geraubt und aufgezogen worden war, in Notwehr getötet.
Sie hatte ihm verziehen. Weil sie wusste, warum es geschah - und wie schuldlos er im Grunde war. Wütend war sie auf diejenigen, die Daa'tan zu einem Menschenfeind und Massenmörder gemacht hatten…
Als sie das Ufer erreichte, rannen ihr Tränen übers Gesicht, die sie gar nicht erst zurückzuhalten versuchte.
Manchmal wollte sie sich erinnern. Wollte sie trauern.
Seufzend ließ sie sich zwischen Felsen und spärlichem Flechtenbewuchs nieder. Ihr Blick wanderte kurz zurück zum Dorf, wo auch schon andere Bewegung im ersten Licht des Tages zu erkennen war.
Die Männer machten sich schon bereit, hinauszufahren und ihre Netze auszuwerfen. Nach dem Sieg über die Schatten tat ihr Volk alles in seiner Macht Stehende, um zur Normalität zurückzukehren.
Ob diese Normalität auch für sie beide, Aruula und Maddrax, galt, stand noch nicht fest. Möglich, dass sie einen hohen Preis zahlen mussten.
Vom Mars waren sie als Menschen zurückgekehrt, die die nächsten fünf Jahrzehnte rein biologisch kaum noch altern würden. Die Reise durch den Zeitstrahl hatte dies bewirkt, der Tachyonenmantel, der sich um sie gelegt hatte.
So hatte Maddrax es ihr erklärt.
Aber nach dem Kampf gegen das Steinwesen, das für den Schattenterror verantwortlich war und sich von Lebensenergie ernährte, hatten sie vielleicht diese Tachyonen wieder eingebüßt. Was bedeutete, dass Maddrax um gleich zehn Jahre altern würde und sie beide ihre erst kürzlich gewonnene relative Unsterblichkeit schon wieder verloren hatten.
Aruula blickte mit brennenden Augen aufs Meer hinaus und fragte sich, ob das denn so schlimm wäre, wieder ein ganz normaler Mensch zu sein. Sehnte sie sich nicht in ihrem tiefsten Kern genau danach…?
Schritte wurden hinter ihr laut.
Sie drehte sich um. »Ivee«, sagte sie überrascht. Das Mädchen war etwa zehn, elf Jahre alt, und für einen Moment kam es Aruula so vor, als blicke sie in einen Zauberspiegel mit ihrem eigenen, verjüngten Abbild. So ähnlich musste sie selbst mit zehn ausgesehen haben - doch damals war sie schon eine Sklavin gewesen, von Menschenhändlern entführt und als Lauscherin an eine Sippe der Wandernden Völker verkauft. Sie hoffte, dass Ivee ein solches Schicksal erspart bleiben würde. Aber eine Garantie dafür gab es in barbarischen Zeiten wie diesen nicht.
»Du wirst von Tag zu Tag hübscher, Kleines«, sagte Aruula. »Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Da warst du höchstens halb so groß, oder?« Sie lachte. Der Anblick des Mädchens entfachte Frohsinn in ihr, und nach den schwermütigen Gedankenflügen von eben war sie dafür mehr als dankbar. »Was machst du schon so früh auf den Beinen?«
Ivee trat näher. Sie trug ein grob gewebtes, ärmelloses Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte. Um die Taille schlang sich ein Gürtel mit einem Lederbeutel. Um den Hals hatte das gertenschlanke Mädchen eine Schnur hängen, an der ein buntes Sammelsurium von präparierten Fischaugen baumelte, von denen jedes einzelne wie eine Glasmurmel schimmerte.
Aruula musste sich eingestehen, dass sie die verschiedenen »Spender« der Augenkette nicht hätte benennen können. Aber sie bezweifelte nicht, dass Ivee es konnte. Sie war schon immer ein aufgewecktes Kind gewesen. Und jetzt stand sie fast schon an der Schwelle zur Frau, wie erste zarte Rundungen an den genau richtigen Stellen andeuteten.
Aruula löste den Blick von Ivee und schaute hinunter zum Meer, zu den Leuten, die dort an und in ihren Booten beschäftigt waren. Einige ruderten bereits los. »Hast du den Fischern geholfen?«, fragte sie. »Ist dein Vater dabei?«
Ivee schwieg weiter beharrlich, setzte sich aber ohne Aufforderung neben Aruula, ganz dicht neben sie. Dabei
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