28 - Im Lande des Mahdi II
schlechten Eigenschaften seiner langen arabischen Flinte kannte.
Diese Flinte war sein Herzeleid, und doch schien er sie über alle Maßen zu lieben. Er hatte sie stets in der Hand und sprach gern von ihr. Auch jetzt, als er neben mir am Rand des Brunnens saß, hielt er sie liebevoll umfangen, ließ seinen Blick freundlich über sie gleiten und sagte:
„Hast du schon einmal so eine Arbeit gesehen, Effendi? Ist das nicht bewundernswert?“
Der Kolben des Gewehres war nämlich mit Elfenbein ausgelegt, doch bildete die Zeichnung eine Figur, welche mir ganz unverständlich war. Darum antwortete ich:
„Äußerst geschmackvoll, ja geradezu prächtig! Aber was soll es denn vorstellen?“
„Was es vorstellen soll? Welch eine Frage! Siehst du denn das nicht?“
Er hielt mir den Kolben vor die Nase und forderte mich auf:
„Da, sieh genauer hin! Nun, was ist's?“
Ich gab mir alle Mühe, das Ding zu enträtseln, doch vergeblich. Das war keine Schrift, kein Bild, kein ‚gar nichts‘!
„Du bist blind“, meinte er, „möge Allah dein Auge erleuchten! Aber da du ein Christ bist, so ist es gar nicht zu verwundern, daß du die Figur nicht erkennst. Ein gläubiger Moslem sieht beim ersten Blick, was sie zu bedeuten hat. Erkennst du nicht, daß es ein Kopf ist?“
Ein Kopf! Keine Spur davon! Man hätte es höchstens für den unförmigen Kopf eines Hippopotamus halten können. Ich schüttelte also den meinigen.
„Nicht? Allah, Wallah, Tallah! Es ist sogar der Kopf des Propheten, der in allen Himmeln Allahs sitzt.“
„Unmöglich! Man sieht ja gar nichts von einem Kopf! Wo ist denn die Nase?“
„Die fehlt, Effendi. Der Prophet braucht keine Nase. Er ist jetzt der reinste der Geister und besteht selbst aus zehntausend Wohlgerüchen.“
„Wo ist der Mund?“
„Der fehlt, denn der Prophet bedarf keines Mundes mehr, da er durch den Koran zu uns redet.“
„Auch sehe ich keine Augen.“
„Wozu Augen, da der Prophet nichts zu sehen braucht, weil vor Allah alles offenbar ist?“
„Die Ohren suche ich auch vergeblich!“
„Du kannst sie nicht finden, weil sie nicht da sind. Der Prophet braucht unsere Gebete nicht zu hören, da er uns die Worte derselben genau vorgeschrieben hat.“
„Wo ist der Bart?“
„Der ist nicht zu sehen. Wie durfte man ihn durch Elfenbein entheiligen, da der Schwur beim Barte des Propheten der höchste und allerheiligste ist!“
„Folglich ist von dem Kopf nur die Stirn zu sehen?“
„Auch nicht. Da sie der Sitz des Geistes ist, kann man sie gar nicht abbilden.“
„So ist von dem Kopf also gar nichts da?“
„Gar nichts“, nickte er. „Aber ich erkenne jeden Zug des Gesichtes!“
„Ohne den Kopf überhaupt sehen zu können? Das begreife, wer es kann!“
„Ja, ein Christ wird es freilich nicht begreifen. Ihr seid alle mit unheilbarer Blindheit geschlagen!“
„Du auch, doch ist deine Blindheit hellsehender als das gesündeste Auge. Du siehst einen Kopf, zu dem nichts als alles fehlt. Übrigens ist es doch bei euch verboten, einen Menschen abzubilden. Wie viel strafwürdiger muß da das Porträtieren des Propheten sein!“
„Der Künstler, welcher dieses Gemälde fertigte, hat dieses Verbot nicht gekannt.“
„Und muß doch den Propheten gesehen haben.“
„Im Geist! Das Gewehr ist uralt, wie du wohl siehst. Der Mann, welcher es fertigte, hat jedenfalls weit vor dem Propheten gelebt.“
„Das ist unmöglich, denn da gab es noch kein Pulver.“
„Effendi, beraube mich doch nicht des Glückes, ein so kostbares Gewehr zu besitzen! Wozu Pulver? Wenn Allah will, schießt man auch ohne Pulver aus der Flinte.“
„Ich gebe zu, daß Allah Wunder tut. Hier gibt es deren gleich zwei: erstens ein Schießgewehr aus einer Zeit, in welcher es noch kein Pulver gab, und zweitens das Bild des Propheten aus einer Zeit, in welcher er noch gar nicht lebte.“
„Ich sagte dir bereits, daß der Künstler ihn im Geiste gesehen hat. Es war eine Vision, und darum ist dieses Gewehr eine Visionsflinte.“
„Ah, Visionsflinte; das ist gut, das ist einzig!“
„Ja, einzig ist sie! Da hast du recht, vollständig recht, und es freut mich, daß du endlich zur Einsicht gekommen bist. Es ist die einzige Visionsflinte, welche es gibt, und darum halte ich sie heilig und bin sehr stolz auf sie.“
„Wie bist du denn zu ihr gekommen?“
„Durch Erbschaft. Der Künstler hat sie auf Kind und Kindeskind vererbt. Du mußt wissen, daß ich sein Nachkomme bin und sie einst meinem
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