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28 - Im Lande des Mahdi II

28 - Im Lande des Mahdi II

Titel: 28 - Im Lande des Mahdi II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ältesten Sohn vererben werde. Ja, sieh mich nur verwundert an! Ich bin in Wirklichkeit der Urenkelsohn des Urenkels eines Mannes, dem Allah die Gnade erteilte, den Propheten zu schauen, noch ehe derselbe geboren war.“
    „So bist du der berühmteste Mann deines Stammes, und ich freue mich nicht bloß, sondern es ist mir auch eine unschätzbare Ehre, dich kennengelernt zu haben.“
    „Ja“, meinte er in vollstem Ernst, „es ist für jedermann eine Ehre, einen solchen Urenkel des Urenkels zu schauen. Ich bin bekannt bis tief in den Sudan hinein, so weit es wahre Gläubige gibt, und mein Gewehr hat einen Ruf, welcher selbst in den Ländern der Heiden erschallt.“
    „So schießt es wohl auch gut?“
    „Leider nein. Es war Allahs Wille, daß, um die Vorzüge des Himmels zu erhöhen, auf dieser Erde nichts ganz vollkommen sein solle. Das ist auch in Beziehung auf meine Visionsflinte der Fall, wie ich leider der Wahrheit gemäß bekennen muß. Sie hat einige Eigenschaften, welche mein Herz mit Wehmut erfüllen.“
    „Ich kenne alle Arten der Gewehre und bin in der Behandlung derselben wohl erfahren. Wenn du mir die Fehler nennst, kann ich dir vielleicht einen Rat erteilen.“
    „Es sind ihrer mehrere. Zunächst hat das Gewehr die Eigenschaft eines wilden Ziegenbocks; es stößt entsetzlich. Es hat mir schon manche kräftige Maulschelle gegeben.“
    „Das ist freilich nicht hübsch. Du mußt es beim Schießen so anlegen, daß es dich nicht beohrfeigen kann.“
    „So stößt es mich woandershin, und das ist ganz dasselbe. Ferner schlingert es gewaltig.“
    „Schlingern? Was verstehst du unter diesem Ausdruck?“
    „Damit meine ich, daß sich die Kugeln nicht in gerader Richtung, sondern in Schlangenwindungen fortbewegt.“
    „Unmöglich!“
    „Effendi, zweifle nicht! Bei einer Visionsflinte ist alles möglich. Ich habe es genau beobachtet. Ich darf nie auf das Ziel halten, sondern je nach der Entfernung mehr nach rechts oder links oder höher oder tiefer.“
    „Die Flinte ‚schraubt‘ also, und es gibt, meines Wissens, kein anderes Mittel dagegen, als daß du einen neuen, besseren Lauf machen läßt.“
    „Wie kannst du mir das zumuten! Dadurch würde das kostbare Gewehr vollständig verschimpfiert. Allah bewahre mich vor einer solchen Missetat. Die Flinte muß bleiben, wie sie ist.“
    „So ist es überflüssig, mir ihre anderen Eigenschaften auch noch aufzuzählen. Meiner Ansicht nach ist dasjenige Gewehr das beste, welches seinen Zweck am vollständigsten erfüllt.“
    „Das tut es ja! Mein Visionsgewehr beweist, daß mein Urahne den Propheten gesehen hat, und das ist vollständig genug.“
    „Wie es schießt, ist also Nebensache?“
    „Ja.“
    „Der Zweck des Schießens ist aber doch das Treffen!“
    „Du bist kein Moslem und kannst dich also nicht mit der nötigen Ehrfurcht in diese Flinte hineindenken.“
    „Nein, das kann ich nicht. Aber falls du in meiner Gegenwart einmal schießen solltest, so bitte ich dich, mein Leben zu schonen. Tue mir dann den Gefallen, auf mich zu zielen, da du mich dann sicherlich nicht treffen wirst!“
    „Spottest du etwa, Effendi? Ich sage dir, daß –“
    Er unterbrach sich, sprang auf und blickte, indem er mit der Hand die Augen beschattete, gen Osten.
    „Was ist?“ fragte ich ihn. „Siehst du etwas?“
    „Ja, ich bemerke einen Punkt über dem Gras, welcher vorher nicht vorhanden war. Es muß ein Reiter sein.“
    Nun stand ich auf, öffnete mein Fernrohr und gewahrte, durch dasselbe sehend, einen Mann, welcher auf einem Kamel saß und gerade auf den Brunnen zugeritten kam. Als er sich uns so weit genähert hatte, daß er uns sah, hielt er an, um uns zu betrachten; dann kam er herbei, blieb auf dem Kamel vor mir halten und grüßte:
    „Sallam aaleïkum! Wirst du mir erlauben, Herr, mein Kamel aus diesem Bir atschahn zu tränken und auch meinen eigenen Durst zu stillen?“
    „Aaleïkum sallam! Der Brunnen ist für jedermann da, und ich kann dich nicht hindern, zu tun, was dir beliebt.“
    Ich gab, ohne ihn willkommen zu heißen, diese kühle Antwort, weil er keinen sympathischen Eindruck auf mich machte. Er war wie ein gewöhnlicher Beduine gekleidet und mit Flinte, Messer und Pistole bewaffnet. Sein Gesicht hatte keineswegs abstoßende Züge, aber der scharfe, forschende, ja stechende Blick, mit dem er uns musterte, gefiel mir nicht. Auch mußte es mir, der ich gewohnt war, auf alles, selbst auf die geringste Kleinigkeit zu achten, auffallen, daß er

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