284 - Augen der Ewigkeit
derart prunkvolles Haus ein lohnendes Ziel für Plünderer, die darin reiche Beute vermuteten. Außerdem waren Sophie Milans Hamsterkäufe der letzten Monate nicht unbeobachtet geblieben.
Erst wagten es nur zwei oder drei Verwegene, sich mit Milans Bodyguards anzulegen. Doch ihre Zahl wuchs ständig an. Bald mussten sich die Leibwächter eingestehen, dass sie ein so weitläufiges Gelände nicht länger gegen Plünderer verteidigen konnten. Also zogen sie sich in die Schatzkammer zurück.
Hier saßen sie nun seit beinahe drei Monaten und hatten die Nase voll von den Visagen der Mitbewohner. Doch sie wussten, dass ihnen keine Wahl blieb. Zumindest wenn sie ihr Leben nicht draußen verbringen wollten, in der Kälte einer andauernden Winternacht und im Kampf ums Überleben.
Sophie war der Meinung, sie hätten niemals so viele Menschen aufnehmen dürfen. Das Forscherteam, ja. Doch musste es gleich so groß sein? Und wer brauchte in diesen Zeiten ein Hausmädchen? Oder gar einen Chauffeur?
Dass sie keinen Hehl aus ihrer Auffassung machte, trug nicht zur Harmonie in ihrer kleinen Welt bei. Und das, obwohl gerade mal ein Vierteljahr vergangen war. Wie sollten sie das noch weitere drei Monate aushalten? Oder sechs? Oder noch länger?
»Wie geht's ihm?«, riss Sophies Stimme Roger Milan aus seinen Gedanken. Er lag im Labor auf einer Untersuchungspritsche. Ein unförmiges Gestell umspannte seinen Kopf und fixierte diverse Lämpchen und Linsen vor seinen Augen.
Dr. Cormand löste das Gestell und der Millionär setzte sich auf. Wegen der Augentropfen sah er seine Umgebung noch recht verschwommen, aber dennoch ausreichend klar, um die besorgte Miene seines Arztes zu erkennen.
»Wir haben ein Problem, Roger«, sagte der.
»Ein Problem?«, keifte Sophie von der Labortür her. »Was soll das heißen?«
Die restlichen fünf Wissenschaftler standen dicht gedrängt am anderen Ende des Labors um eine Zentrifuge und diskutierten die schematischen Darstellungen chemischer Verbindungen, die sie mit Kreide auf eine Schiefertafel gezeichnet hatten. Offenbar wollten sie so viel Abstand wie nur möglich zwischen sich und Sophie halten. Milan konnte es ihnen nicht verdenken.
»Also«, presste er hervor, »was ist das für ein Problem?«
Xavier Cormand sah kurz zu Sophie hinüber. »Können wir das unter vier Augen besprechen?«
»Kommt nicht in Frage«, begehrte Milans Ehefrau auf. »Mein Mann hat keine Geheimnisse vor mir und -«
»Warte draußen«, sagte Milan schroff.
»Aber ich -«
»Raus!«
Sophie feuerte noch eine Salve giftiger Blicke ab, dann verließ sie das Labor. Die knallende Tür verriet, was sie von ihrem Rausschmiss hielt.
Cormand winkte den anderen, und mit erkennbarem Widerwillen setzten sich Dr. Sam van der Vlis und Dr. Diana Hoyt in Bewegung.
»Die Kollegen…«, Cormand zeigte auf die ehemaligen EU-Wissenschaftler, »… haben inzwischen einige vielversprechende Ansätze entwickelt.«
»Ansätze, ja? Und das ist alles, was Sie in all den Monaten zustande gebracht haben?«
»Das wäre nicht einmal so schlecht«, fuhr Cormand fort. Offenbar hatten die anderen ihn zum Sprecher ernannt. »Wenn da nicht das Zeitproblem wäre.«
»Heißt?«
Xavier Cormand seufzte. »Die letzten Untersuchungen haben ergeben, dass nur dann eine Chance auf Heilung besteht, wenn Sie noch nicht völlig erblindet sind. Wenn das Licht um Sie erst einmal erloschen ist, wird es auf ewig dunkel bleiben.«
»Sehr prosaisch, Xavier. Danke sehr.« Milan wandte den Blick der blonden Dr. Hoyt zu. Sie war Ende vierzig und trug in ihrem verlebt wirkenden Gesicht einen Ausdruck ständiger Empörung. »Dann sollten Sie sich besser etwas beeilen, meinen Sie nicht auch?«
Dr. Diana Hoyt schwieg einige Sekunden, als müsse sie überlegen, was sie antworten wollte. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: »Wenn das so einfach wäre, hätten wir es längst getan.«
Dr. van der Vlis stimmte ihr mit aufgeregtem Nicken zu. »Alles, was wir hier tun können, ist theoretische Arbeit. Solange wir keine Möglichkeit haben, die neuesten Ansätze auch praktisch zu überprüfen, werden wir nicht vorankommen.«
»Sie meinen…«
»Ohne Testobjekte stecken wir in einer Sackgasse.«
»Hm. Verstehe.« Roger Milan glitt von der Pritsche und rieb sich über die Augen. »Ich werde darüber nachdenken.«
Draußen erwartete ihn bereits Sophie. Erwartungsgemäß hatte sie an der Tür gelauscht. Sie schnappte ihn am Ärmel und zog ihn durch die Vorhalle. Neben einer
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