29 - Im Lande des Mahdi III
führt kein Paß hinauf. Schir Samurek will also nicht über die Berge, sondern sein Ziel liegt diesseits von ihnen. Was er aber da zu suchen hat, das ist mir ein Rätsel.“
„Allah! Sollte hier die Gegend sein, in welcher die Musallah el Amwat (Kapelle der Toten) liegt?“
„Die Musallah el Amwat? Von der habe ich noch nie gehört. Was ist das für ein Ort?“
„Ein Ort, den jeder Mensch meidet, mag er nun Sunnit oder Schiit, Christ oder Jude sein. Du weißt, daß ich vorgestern im Khan, wo wir blieben, mit einigen Mazydschilar (Galläpfelsammler) beisammensaß und mich mit ihnen unterhielt. Sie waren in dieser Gegend bekannt, hatten viel erlebt und erzählten davon. Die schönsten und besten Galläpfel wachsen bei der Musallah el Amwat in Menge; aber niemand getraut sich hin, sie zu sammeln, denn die Geister der Toten gehen dort um. Es ist vor mehreren hundert Jahren gewesen, da kamen Christen in das Land und bauten sich die Musallah in den Bergen, um Allah nach ihrer Weise zu verehren. Sie waren gute und fleißige Leute, die jedermann zur Liebe lebten; aber die Schiiten beschlossen dennoch, sie von der Erde auszurotten. Sie zogen hinauf, umstellten die Christen bei der Musallah und metzelten alle, alle nieder, Männer, Greise, Jünglinge, Weiber, Jungfrauen und Kinder. Der Priester war der letzte, welcher starb; noch im Niederfallen betete er für die Feinde. Da rissen sie das Kreuz von der Musallah und warfen es ins Feuer. Als er das mit brechendem Auge sah, verwandelte er sein Gebet in einen Fluch, den er auf sie und auf die Stätte des Todes vom Himmel herniederrief. Seitdem trifft Unheil jeden, der es wagt, die Musallah aufzusuchen. Dennoch waren die Mazydschilar kürzlich so verwegen, hinaufzusteigen, denn sie sind arm und wußten, daß es da oben eine reiche Ernte gibt. Sie baten Allah, sie zu beschützen, und machten sich auf den Weg. Sie kamen auch glücklich hinauf und sahen die Musallah stehen; aber als sie sich ihr näherten, trat der Geist des ermordeten Priesters in der Gestalt eines riesigen Bären heraus, der sich mit offenem Rachen auf sie stürzen wollte; da flohen sie schreiend und betend von dannen und dankten dann, unten wieder angekommen, Allah, der sie errettet hatte durch die Schnelligkeit ihrer Beine. Sie werden niemals wieder so tollkühn sein, die Musallah aufzusuchen. Das erzählten sie mir. Was sagst du dazu, Effendi?“
„Daß der Bär kein Geist, sondern ein gewöhnlicher Bär gewesen ist. Jedermann weiß, daß es da oben im Gebirge Bären gibt.“
„Ja, das weiß ich auch; aber so ganz riesengroß, wie dieser gewesen ist, sind sie nicht.“
„Die Angst vergrößert alles; sie kann selbst einen Bären doppelt groß erscheinen lassen.“
„Das sagst du, weil du nicht an Geister glaubst!“
„Ich bin ganz im Gegenteil fest davon überzeugt, daß es Geister gibt; aber Gespenster gibt es nicht, die in Bärengestalt erscheinen.“
„Ja, du bist mutig, Sihdi, du wärst gewiß nicht geflohen, sondern dem Bären kühn entgegengegangen. Doch ich, ich weiß, daß du alles kannst und verstehst, und ich glaube dir auch jedes Wort, welches aus deinem Mund kommt, aber ich würde doch lieber auch nicht die Probe machen, ob der Bär ein Geist oder der Geist ein Bär ist. Wir haben Bären miteinander erlegt, weißt du, drüben in den Schluchten des Balkan, wo es keine Musallah el Amwat gibt; hier aber liegt der Fluch des Priesters auf der Gegend, also auch mit auf dem Bären, und mit einem verfluchten Bären mag ich nichts zu tun haben, gleichviel, ob er ein wirklicher Bär ist oder ein verkappter Geist!“
„Hast du eine Ahnung, in welcher Gegend die Musallah liegt?“
„Die Mazydschilar haben sie mir beschrieben. Sie liegt zwischen dem Nekuhl und dem Meqilik, und man kommt hinauf, indem man einem vielgewundenen, steinigen Flußbett folgt, welches von sehr engen Ufern eingefaßt ist und – – –“
Er hielt mitten in der Rede inne, sah mir eine halbe Minute lang ganz betroffen in das Gesicht und fuhr dann rasch fort: „Allah akbar – Gott ist groß! Das paßt ja ganz genau auf unsern Weg!“
„Ja, wie es scheint!“
„Der Nekuhl und der Meqilik sind die beiden Berge, welche du vorhin erwähntest; in steinigen, engen und vielgewundenen Flußlauf befinden wir uns, also – Maschallah! – wir befinden uns auf dem Wege zur Musallah el Amwat, zur Kapelle der Toten, von welcher ich dir erzählt habe.“
„Das ist allerdings sehr leicht möglich. Aber mach den Mund
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