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294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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würden.
    »Dechsenreiter«, sagte Mahan.
    »Warst du schon einmal hier?«, fragte Jurgis, weil sie darüber noch nie gesprochen hatten.
    Mahan schüttelte den Kopf. »Aber ich träume seit meiner Kindheit davon, das Haus der Andacht zu besuchen. Und die Dechsenreiter sind weithin berühmt. Es gibt sie als reine Handelstreibende, aber auch als mutige Jäger, die vor keiner Monstrosität zurückschrecken.«
    »Welches ›Haus der Andacht‹?«, fragte Jurgis.
    »Der Tempel des Transzendenten Gottes. Ich bin ein Bahai, Sohn von Nachkommen derer, die einst aus Tah Ran flüchten mussten, weil sie wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Heute ist Tah Ran fest in Bahai-Hand. Die Vertriebenen kehrten vor zwei Jahrhunderten zurück und übten blutige Vergeltung an der Bevölkerung. Seither herrschen sie über Tah Ran - ich habe nichts zu befürchten.«
    »Für dich mag das gelten«, sagte Jurgis nachdenklich, »aber was ist mit mir?«
    Mahan hob beschwichtigend die Hand. »Die blutigen Tage sind lange vorbei. Bahai sind friedliebend, und in meiner Gesellschaft bist du erst recht sicher.«
    Jurgis war keineswegs überzeugt. »Hast du im Zusammenhang mit Tah Ran jemals von den ›Geheimen Oberen‹ gehört?«
    Mahan schüttelte den Kopf. »Nein. Aber das will nicht viel heißen - wenn sie geheim sind.« Er grinste Jurgis an.
    Unter anderen Bedingungen hätten sie ihre Bekanntschaft zu einer Freundschaft vertiefen können. Aber Jurgis war ein gebranntes Kind. Er sperrte sich gegen eine neue Beziehung zu egal wem. Aus Angst, denjenigen doch wieder zu verlieren.
    Spätestens in der Stadt würden sich ihre Wege trennen.
    Und so geschah es auch - wenn auch in anderer Weise als von Jurgis vorgesehen.
    Die Straßen der Stadt waren ein einziger Basar. Obwohl selbst ortsfremd, führte Mahan Jurgis mit traumwandlerischer Sicherheit durch sie hindurch, während verführerische als auch befremdliche Gerüche in die Nase des Hermaphroditen stiegen.
    Zwar war er gebannt von den Szenen, die sich in den Gassen Tah Rans abspielten, doch kreisten seine Gedanken seit Betreten der Stadt nur noch um den Grund, weshalb er hierher gekommen war.
    Um Aiste - und um die Vergeltung, die er an den Entführern seines Kindes und den Mördern seines Weibes üben wollte.
    Während der Hass in ihm wucherte, veränderte sich auch Jurgis' Mimik, was wiederum Mahan auffiel, der ihn irgendwann am Arm festhielt und mitten auf der Straße zur Rede stellte.
    »Was ist mit dir? Du siehst aus, als wolltest du jemanden mit bloßen Händen erwürgen!«
    »Das sieht man mir an?«, fragte Jurgis grimmig, statt abzuwiegeln oder es zu bestreiten.
    »Ja, mein Freund, ja! Was ist nur in dich gefahren?«
    »Das würdest du nicht verstehen.«
    »Du unterschätzt mich - und eigentlich beleidigst du mich damit auch.«
    Jurgis zuckte mit den Achseln. »Wenn es so ist, kann ich es nicht ändern.«
    »Dann begleite mich dorthin, wo man deine Seele zu heilen vermag.«
    »Mich kann niemand heilen. Ich bin Mördern und Entführern auf der Spur.«
    Er wunderte sich, es nun doch preisgegeben zu haben. Aber es mochte an der ehrlichen Anteilnahme liegen, die er bei Mahan spürte.
    Der schwieg eine Weile betroffen, während die Menschen an ihnen vorbeiströmten. Schließlich sagte er: »Erzähl mir alles. Vielleicht kann ich helfen. Vielleicht kann der Tempel dir helfen. Ich werde mit den Priestern sprechen…«
    Zunächst wollte Jurgis kategorisch ablehnen. Doch dann schien es ihm eine unerwartete Chance. Und so kam es, dass er an Mahans Seite das Haus der Andacht betrat.
    Die Priester, denen Jurgis begegnete, wirkten allesamt der Welt entrückt, und während er ihnen durch Mahan sein Anliegen vortrug, nach den »Geheimen Oberen« fragte, hatte er nie den Eindruck, dass sie überhaupt begriffen, worum es ihm ging.
    Umso überraschter war er, als ihm und Mahan eine Unterkunft im Tempel angeboten wurde.
    Mahan wirkte nicht überrascht, aber erfreut, und Jurgis gab schließlich nach, als die Priester versprachen, sich für ihn umzuhören und ihm schnellstmöglich Nachricht zu geben, wenn sie etwas herausfanden.
    Doch schon die erste Nacht, die Mahan und er in ihrem spartanisch eingerichteten Quartier zubrachten, wurde zum Desaster.
    Bald nach Einbruch der Dunkelheit stürmten Vermummte den Raum - innerhalb des Tempels gab es keine Riegel und Schlösser - und töteten Mahan vor Jurgis Augen. Sie streckten ihn mit einem Säbelhieb in den Hals nieder, als er sich ihnen in den Weg stellte.
    Jurgis

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