298 - Beim Ursprung
vom Fenster der Hütte ab. Draußen war Ruhe eingekehrt. Zeit, den nächsten Schritt seines Plans in die Tat umzusetzen.
Er betrachtete die schlafende Ann. Sollte er sie hier liegenlassen? Er entschied sich dagegen: Wenn sie erwachen sollte, würde sie sich garantiert aus dem Staub machen, und eine lange Suche nach ihr konnte er sich momentan nicht leisten. Er musste sie mitnehmen, um sie weiterhin unter seiner Kontrolle zu haben.
Behutsam schlängelte sich einer seiner Tentakel in ihren Nacken. Als er unter die Haut drang, seufzte Ann kurz, wälzte sich herum und drohte aufzuwachen. Ein schneller mentaler Impuls hinderte sie daran.
Kroow nahm sie vom Boden auf und legte sie sich über eine Schulter. Weitere Tentakel wuchsen aus seiner Hüfte und wanden sich um ihre Arm- und Fußgelenke.
Dann verließ er die Hütte und ging zu dem Zelt hinüber, in dem Mutter auf ihren großen Tag wartete. Wenn sein Vorhaben gelang, würde es der Tag ihrer Vernichtung sein.
Einige Steinjünger hatten sich vor den mit einem Tuch verhängten Eingang des Zeltes gelegt, um Mutter ganz nahe zu sein. Den direkten Weg konnte Kroow also nicht nehmen; bei seinem Gewicht hätten die Erschütterungen des Bodens die Schlafenden wecken können - und er konnte sie unmöglich alle kontrollieren. Also wich er aus und ging um das Zelt herum, das dicht an einigen Bäumen stand. Dort im Gras legte er Ann zu Boden, löste den Tentakel aber nicht aus ihrem Nacken.
Er trat an die rückwärtige Zeltwand und lauschte. Jemand schnarchte da drinnen. Mindestens einer der Wächter schien also zu schlafen.
Er blickte sich noch einmal nach der Kleinen um. Wie eine ins Koma Versunkene lag sie da und atmete tief und sehr langsam. Der dünne Tentakel spannte sich kaum sichtbar bis zu ihr hin. Um sie musste er sich wahrhaftig keine Sorgen machen.
Kroow drehte sich um und verflüssigte seinen bionetischen Körper zu einer weichen Masse, die sich unter dem straff gespannten Zeltstoff durchschieben konnte. Die Masse des falschen Steins, den er in sich trug, blieb kurz am Stoffrand hängen, aber Crow verstärkte den Zug und zerrte ihn ins Innere. Dort verfestigte er sich wieder, wuchs in Gestalt General Arthur Crows in die Höhe. Die einzige Öllampe warf seinen Schatten nur auf die Zeltrückwand, so dass man vom Platz her nichts bemerken würde.
Tatsächlich schlief einer der beiden Wächter - und der andere saß von ihm abgewandt und hielt den verhängten Eingang im Blick. Crow konnte sich ihm von hinten unbemerkt nähern. Als etwas in seinen Nacken stach, fuhr der Mann auf - aber er konnte keinen Laut mehr von sich geben. Einen Atemzug später seufzte er und entspannte sich wieder.
»Ganz ruhig, mein Freund«, flüsterte Kroow. »Alles hat seine Ordnung. Komm mit.« Er führte ihn zum Stuhl des schlafenden Wächters. Auch dessen Geist nahm er mit einem Tentakel in Besitz. Der Mann riss die Augen auf, wurde ganz steif und zog die Schultern hoch. »Kein Grund zur Sorge!« Der Wächter erschlaffte, und Crow fuhr fort: »Ihr beide werdet eine ruhige und vollkommen ereignislose Nacht erleben. Was ihr von mir gesehen und gehört habt, werdet ihr vollkommen vergessen. Verstanden?«
Beide Männer nickten.
»Gut. Dann setzt euch wieder und schlaft ein wenig.« Die Wächter sanken auf ihre Stühle. »Bis eure Ablösung kommt, schlaft ihr tief und fest.« Sie schlossen die Augen. Kroow wartete, bis sie eingeschlafen waren, dann wandte er sich von ihnen ab, ohne aber die Tentakel zu lösen. Wenn es zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall kommen sollte, brauchte er die beiden als Marionetten.
Er trat an das brusthohe Holzgestell, auf dem die Korbfassung mit dem Stein ruhte, und schlug das bunt bestickte Seidentuch zurück. Da steckte es, das faustgroße Steinding. Kroow schnalzte mit der Zunge. Wie harmlos es wirkte - und dabei trug es das Potential in sich, alles irdische Leben auszulöschen.
Was für eine unvorstellbare Macht , meldete sich das Bewusstsein des Koordinators zu Wort. Und wahrhaftig: Kroow fröstelte.
»Nur eine potentielle Macht«, flüsterte Crow wie zu sich selbst. »Um sie zu entfesseln, muss das Ding erst einmal hinunter zu seinem Ursprung.« Er zog die Handschuhe, die er dem Vorarbeiter abgenommen hatte, unter der aus bionetischem Baustoff nachgebildeten Uniformjacke hervor. »Und das verhindern wir hiermit.«
Er streifte die dicken Lederhandschuhe über. Danach verringerte er die Dichte seines Gewebes oberhalb der Hüfte und zog das
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