298 - Beim Ursprung
Mutter heute nicht hier. Sie sollten Teil der Zeremonie sein.«
Crow blieb skeptisch, aber was sollte er anderes tun als zu nicken und zu ihr zu gehen? Seine Unruhe verstärkte sich noch, als Jenny den beiden Wächtern mit einem Wink befahl, das Zelt zu verlassen und die Tücher vor dem Eingang zu schließen. Was zum Teufel führt sie im Schilde? Er war vollkommen ratlos.
»Außerdem können Sie mit Ihren speziellen Fähigkeiten Mutter viel besser bergen«, raunte die Jensen ihm zu.
»Besondere Fähigkeiten?« Crow verstand kein Wort.
Jenny wies auf eine Truhe, die seitlich an einer der Zeltplanen stand. »Könnten Sie bitte diese Kiste zur Seite rücken und darunter graben, General? Mit Ihren Tentakeln geht das viel schneller als mit einer Schaufel.« Sie lächelte und deutete nach draußen. »Sie hören ja selbst, wie dringend die Geschwister nach Mutter verlangen.«
Crow stellte keine Fragen; er tat einfach, was sie verlangte. Auf diese Weise würde er am schnellsten erfahren, welches Spiel sie spielte. Er bildete also einen Tentakel an seinem Unterarm aus und bohrte ihn in die Erde. Nach etwa dreißig Zentimetern stieß er auf einen Widerstand.
»Es ist ein Metallbehälter«, kommentierte die Jensen. »Bitte holen Sie ihn nach oben.«
Er umschlang das Behältnis und zerrte es aus der Erde. Jennifer Jensen streckte die Hände aus und er legte den Fund hinein. Sie nickte zufrieden und stellte die kleine Kiste auf die Sitzfläche eines der Stühle.
Dann zog sie sich endlich die Handschuhe über und trat zu dem Holzgestell. Crows Blick ging zwischen ihm und dem Metallkasten hin und her. Was war da drin? Was hatte dieses Weib vor?
Die Jensen nahm das Seidentuch vom Stein und betrachtete die falsche Mutter eingehend. Sprach sie ein stummes Gebet?
Dann griff sie nach dem Stein, hob ihn aus dem Korbgeflecht… und warf ihn achtlos zur Seite. Der Brocken rollte bis zur Seitenwand, wo er liegen blieb.
Crow war vor Schreck zum Denkmal erstarrt. Es geschah nicht oft, dass sein Verstand aussetzte und gähnende Leere in seinem sonst so brillanten Geist herrschte; dies war eine solche Gelegenheit. Ein lahmes »Was…?« rann über seine Lippen, zu mehr war er momentan nicht fähig.
Jennifer Jensen grinste über das ganze Gesicht.
»Ist es mir gelungen, Sie zu verblüffen, General, Sir?«, fragte sie. »Aber keine Sorge, ich bin nicht verrückt geworden…«
Bei diesen Worten öffnete sie die Metallkiste und griff mit den Handschuhen hinein. Ein weiterer Stein kam zum Vorschein. Und Crow begann innerlich zu frieren, als sein Denken wieder anlief und sich ihm ein ungeheuerlicher Verdacht aufdrängte.
Jenny setzte den Stein aus dem Behälter in die Korbfassung auf dem Holzgerüst.
Und endlich begriff Arthur Crow: Die Jensen hatte Mutter ausgetauscht! Lange bevor er selbst es getan hatte!
Aber wie war das möglich? Er hatte doch Mutters Präsenz beim Austausch deutlich gespürt, wenn auch nur schwach. Sie musste es gewesen sein.
»Sie haben… eine Nachbildung…?« Crow fühlte sich, als hätte ihn ein Fausthieb in den Magen getroffen. Er rang um Worte. »Sie hatten Mutter gegen einen einfachen Stein ausgetauscht?«
Die Jensen verzog missbilligend den Mund. »Keinen einfachen Stein, General! Etwas mehr Mühe habe ich mir schon gegeben, um Mutter zu schützen.« Sie zog den Muschelanhänger an der Kette aus ihrem Halsausschnitt und klappte ihn auf. Die Muschel war leer!
»Ich habe Mutters Splitterstück in den Stein eingelassen«, erklärte sie bestens gelaunt. »Nur so war die Täuschung perfekt.« Sie griff sich das Korbgestell. »Dieser Tag und das bevorstehende Ereignis sind viel zu wichtig, um auch nur das kleinste Risiko einzugehen, General. Kommen Sie?«
Crow öffnete den Mund, doch kein Wort kam über seine Lippen. Ihm war, als würde der Boden unter seinen Füßen wanken und sich die Zeltplane um ihn drehen.
Fortsetzung folgt…
ENDE
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