3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Doris hier! Meine Doris ...! Er zweifelt an seinen Augen. Das kann doch nicht sein! Das gibt es nicht! Doris!
Das Mädchen versucht schwach, ihn anzulächeln. Da stirbt jeder Ausdruck in seinem Gesicht und verkrampft sich zu etwas ... zu Verachtung, zu Ekel ...
Am liebsten hätten sie noch Stunden auf ihrem zähen Streuselkuchen herumgekaut. Sie fürchteten sich vor dem Augenblick, da die starre Tischordnung aufgelöst wurde. Was 44
sie dachten, sprachen sie nicht aus, und was sie aussprachen, dachten sie nicht. Die Augen gingen ihre eigenen Wege, wie von Magneten abgelenkt. Ein unheimlicher Gast, der nicht auf der Verpflegungsliste stand, hatte sich eingefunden: die Scham. Die Mädchen und Männer schwiegen oder sprachen zu schnell. Die Befangenheit legte sich auf das Lachen. Die Unsicherheit marschierte in jeder Geste mit. Junge Menschen, die längst gewohnt waren, ungezwungen miteinander umzugehen, benahmen sich steif und töricht wie in der ersten Tanzstunde. Sie lachten mit fremden Stimmen. Sie horchten mit anderen Ohren. Sie benutzten Augen, die ihnen nicht mehr gehörten.
Gegen 18 Uhr hob SS-Sturmbannführer Westroff-Meyer, Kuppler für Großdeutschland, die Tafel auf. Zunächst machte niemand davon Gebrauch. Wenn sich diese Gesellschaft von 50 Menschen irgendwo sonst begegnet wäre, hätten sich bereits erste Freundschaften gebildet, künftige Pärchen abgezeichnet und Gruppen zusammengefunden. Jetzt aber sagten sich alle nur ja und nein oder höchstens vielleicht.
Es ging auf den Abend zu. Auf den ersten. Und einer dieser Abende, die ihnen bevorstanden, sollte, konnte, mußte furchtbar werden. Die Ungeheuerlichkeit, die man in der Theorie ihnen noch mit dem Holzhammer der Zeit beibringen konnte, verlor in der Praxis Vernunft, Figur, Überzeugung. Irgendwie verspürten sie alle, daß wenigstens die Natur sich nicht vom Nationalsozialismus kommandieren ließ. Immer wieder betrachtete Doris den ihr schräg gegenübersitzenden Klaus, der systematisch an ihr vorbeisah. Sie las in seinem Gesicht. Sie ärgerte sich. Dann begriff sie ihn. Und zuletzt wurde sie traurig. Ich gehe zu ihm hin, sagte sie sich, und erkläre ihm alles. Er liebt mich. Er muß doch Vertrauen zu mir haben ...
Dann wurde auf einmal kaltes Wasser über ihren Rücken 45
gegossen. Wie kommt Klaus hierher, fragte sie sich, was hat er hier zu suchen? Wie kann er sich auf einen so pervertierten Frevel einlassen? Sie wollte aufstehen, ihm auf die Schulter klopfen und schlicht sagen:
»Komm Klaus, wir gehen nach draußen ...«
Jetzt hätte sie Gelegenheit dazu. Aber sie verlängerte die Frist immer wieder um fünf Minuten, bis sie auf eine halbe Stunde angelaufen war.
Er stand auf und trat an das Fenster. Die Uniform scheuerte so unruhig auf seinem Körper, als ob er sie auf der nackten Haut trüge. Er kehrte der Gesellschaft, mit der er nichts zu tun haben wollte, den Rücken. Er fuhr abrupt herum, betrachtete aus kleinen, verkniffenen Augen den Heimleiter. Ich schlag’
ihn zusammen, dachte er, ganz bestimmt tue ich das. In diesem Moment ging SS-Hauptsturmführer Kempe auf ihn zu.
»Wat macht ihr Scheiche von der Luftwaffe?« fragte er. Klaus zuckte mit den Schultern.
»Ick wollte auch immer Schlipssoldat werden«, fuhr Kempe fort, »na ja, dann hat mich eben die SS geschnappt.«
»Jawohl, Herr Hauptsturmführer«, versetzte Klaus mechanisch.
»Quatsch«, erwiderte er, »laß den Otto ...« Er streckte ihm die Hand hin. »Ick heeße Horst ... und wenn du mir folgst, dann heben wir jetzt einen.«
Der Staffelkapitän reagierte nicht.
»He«, sagte Kempe, »dich hab’ ick gemeint ... wie heeßte denn eijentlich?«
»Klaus.«
»Na ja, versteh’ ja schon ... peinlich, dieser Laden hier ...« Er grinste. »Ick meine ... vorläufig ... bis dahin verkrümeln wir uns ...«
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Der Fliegeroffizier folgte, ohne Vorsatz, ohne Willen, ohne Überzeugung. Er lief hinter dem langen Hauptsturmführer her. Gerade, als Doris sich ein Herz gefaßt hatte und auf ihn zuging.
»Klaus ...«, sagte sie und lächelte zaghaft.
Da lief er an ihr vorbei ...
Sie betranken sich lautlos.
»Alter Frontsoldat hat immer seine Marschverpflegung dabei«, feixte Kempe. »Komm ... sauf! Dann wird dir gleich besser ...«
Das erste Glas schmeckte nach Galle, das zweite nach Spiritus, und vom dritten ab verwandelte sich der Schnaps in Wodka.
»Haste ... Ärger gehabt?«
»Nicht besonders.«
»Also, Mann, mach doch die Klappe auf ... was ist denn?«
»Meine ...
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