3. Reich Lebensborn E.V.rtf
wiederholt der Sturmbannführer hämisch, »und mit wem? ... Das kann ich dir sagen: mit einem Lumpen! Mit einem Verräter! ... den ich fertigmache!«
»Wieso?« fragt Kempe scharf.
»Du verteidigst ihn wohl noch? Du stellst dich wohl noch vor ihn, was?«
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Der Ton des Heimleiters wird schroff, fast drohend. Kempe behält lässig die Hände in den Taschen.
»Verräter?« fragt er durch die Nase, »det würde ick jerne jenauer wissen ... wieso? ... wat hat er verraten?«
Westroff-Meyer dreht nervös am Radiogerät. Aber die Sendestationen liefern nur Nachrichten. Die breite Stimme des Sprechers füllt gedämpft den Raum, verliest den Wehrmachtsbericht. Dazu zischt der Heimleiter:
»Was er verraten hat? Den Glauben an den Führer! Ein Miesmacher! Ein Querulant ist das! Ein halber Bolschewik!«
Die Stimme des Heimleiters japst: »Hier hat er gestanden ... und was er gesagt hat, reicht für ... der Bursche ... ist reif!
Kapiert?«
Horst Kempe lächelt mit geschlossenen Lippen.
»Seltsam«, sagt er dann, »die Defätisten gehen an die Front
...« Er gießt sich gemächlich das Schnapsglas voll, prostet Westroff-Meyer grinsend zu: » ... und die Helden bleiben zu Hause, nich?«
»Was soll das heißen?« fragt der Heimleiter, bleich wie sein Führer, »ich verbitte mir diesen Ton von Ihnen, Kempe!«
»Ach ... so herum, Herr Sturmbannführer? ... nee, mein Lieba, nu bleiben wir schon beim du ... ick möchte dir mal wat sagen unter Brüdern: Wenn du mitreden willst, denn meld dir in meine Kompanie ... denn kannst du Erbsen und Kastanien pflanzen, und der Iwan kooft se dir ab ... Die hier, in diesem Narrenhaus, die sind faul, die stinken, mein Lieba ... und det hat der Steinbach jerochen ... vastehste? Und nu willste ihm an den Kragen fahren, weil er ’ne saubere Nase hat!«
»Was fällt Ihnen ein?« brüllt Westroff-Meyer.
»Halt die Klappe!« erwidert Kempe ungeniert. »Ick hab’
schon lange keene mehr einem jescheuert, vastehste? ... und mit mir machste det nich ...«
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Der Heimleiter sackt zusammen. Er überlegt von unten herauf, wie er jetzt Kempe fertigmachen könnte. Aber hier ist er ratlos, hier prallt er gegen einen Felsblock von ein Meter achtundachtzig. Ein Frontoffizier, der beim Angriff der erste und beim Rückzug der letzte ist, fürchtet sich nicht vor einem dienstgradhöheren Heimatkrieger.
»Und eins sag’ ick dir noch, oller Drückeberger ... laß dir nicht erwischen von mir ... wühl in deinem Dreck hier alleene
... aber jieß ihn nicht anderen Leuten über den Kopp ... sonst geht der Laden hier hoch!«
Er steht auf, feuert mit einer Handbewegung das Glas vom Tisch.
»Ick bin kurz davor!«
Das Gesicht des Sturmbannführers zuckt wortlos. Er kauert, als ob er einen Schlag abdecken wollte.
Der Nachrichtensprecher garniert den verlorenen Krieg mit erfolgreichen Meldungen:
» ... in der vergangenen Nacht überflog der Feind nur mit schwachen Verbänden das Reichsgebiet ...«
Westroff-Meyer antwortet immer noch nicht. Sein Gesicht sieht aus wie ein geplatztes Ei.
»... Die Flak schoß sieben anglo-amerikanische Bomber ab
...«
Kempe nickt.
»Prima Burschen«, murmelt er.
»... Im Westen«, fährt der Sprecher mit monotoner Stimme fort, »gelang es Oberleutnant Klaus Steinbach, Staffelkapitän in einem Jagdgeschwader, an einem Tag seinen 14., 15. und 16. Gegner im Luftkampf zu besiegen ...«
Kempe steht auf, nimmt das Glas Westroff-Meyers, baut sich drohend vor ihm auf.
»Das sollte man dir in die Fresse schütten«, sagt er zum 142
Abschluß.
Je höher die Me nach oben geturnt war, desto stärker durchpulste Klaus das Gefühl schwereloser Befreiung. Die Erde lag als dunstige Niederung tief unter ihm. Er flog über den Wolken, entlang des endlos blauen Horizonts. Irgendwo unter ihm, unter den trübschwarzen Wolkenschwaden lagen seine Probleme und seine Ängste: das Lebensborn-Heim, der Sturmbannführer Westroff-Meyer. Hier aber war der Himmel frei und klar. Für Minuten vergaß der junge Oberleutnant den Krieg, der von Tag zu Tag erbarmungsloser und erbärmlicher wurde. Seit die Operation. ›Seelöwe‹, die Invasion auf die britische Insel, in das Kanalwasser gefallen war, tobte die Luftschlacht über England. Aber die deutsche Luftwaffe investierte vergeblich Mut und Blut. Bald mußten die Verluste ihren Abbruch erzwingen. Und dann war der Weg frei für Hunderte, für Tausende von viermotorigen; Feindbombern, die in Rudeln, in Pulks, in Schwärmen über dem gequälten
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