3. Reich Lebensborn E.V.rtf
hat mehr als 200 Kinder geraubt, die zur
›Verschubung‹ bereitstehen. Nach Deutschland, wo ihn Lob und Beförderung erwarten. Er war nicht der einzige, der das besetzte Polen nach Kindern ›wertvoller Erbmasse‹
durchkämmte, aber der erfolgreichste. Er gewöhnte sich an Grauen und Fusel.
Auf der Rückreise besucht er zum Abschluß, als letzte Station, ein Vernichtungslager. Auch hier gibt es Kinder, wenn auch die meisten von ihnen für den Lebensborn nicht in Frage 176
kommen. Der Lagerkommandant dieser riesigen
Vernichtungsanstalt für Menschen empfängt ihn gleichmütig.
»Spülen Sie sich erst den Reisestaub hinunter«, sagt er und deutet auf den Alkohol.
»Komischer Geruch hier in der Gegend ...«, entgegnet der Sturmbannführer.
»Alles halb so schlimm«, knurrt der Kommandant verdrossen.
Westroff-Meyer hat hektische Flecken im Gesicht. Die Begegnung mit der brutalsten Form der Idee, die er am Schreibtisch vertritt, ist ungeheuerlich. Wieder fürchtet er das Grauen, dabei graut es ihm ohne Furcht ...
»Was ich für Sie tun kann, soll geschehen«, erklärt der leitende Mörder, »viel wird nicht für Sie dasein ...«
»Muß ich ... mit hineingehen?«
»Nur keine Bange ... ist nichts dabei, die Leute wissen nicht, daß sie vergast werden ...«
Es ist nichts dabei ... Der Sturmbannführer frühstückt am anderen Morgen reichlich. Unterlage für alle Fälle. Der Bummel durch das Lager endet beim Krematorium. Zum erstenmal sieht Westroff-Meyer ein KZ von innen. Angewidert betrachtet er die ausgemergelten Gestalten in den gestreiften Anzügen. Die kahlrasierten Köpfe. Die tiefliegenden Augen. Er denkt nicht daran, wie sein Kopf ohne Haare, sein Körper ohne Essen, und seine Augen ohne Leben aussehen würden. Langsam weicht der Druck. Der Sturmbannführer blickt sich um, sieht die Gaskammern von außen.
Gleise führen dicht an die Kammern heran. Eine Rangierlokomotive zischt. Güterwagen poltern gegeneinander. Posten mit Gewehren reißen die kreischenden Türen auf. Menschen quellen heraus. Graue Gesichter. Frauen und Männer. Kaum noch zu unterscheiden. Der Zug kommt aus 177
Litzmannstadt. Der Lautsprecher empfängt ihn:
»Sie haben alle Kleider zur Entlausung abzulegen.«
Entlausung ... das ist es. Westroff-Meyer lacht in sich hinein. So erleichtern die sich die Arbeit!
»Na, sehen Sie sich um«, sagt der Lagerkommandant neben ihm.
Westroff-Meyer sieht die Frauen, die sich vor ihren Mördern auch noch ausziehen müssen. Sein Blick gleitet weiter. Dann sucht er die Kinder, sortiert mit den Augen. Mädchen mit schwarzen Locken. Jungen mit breiten Nasen. Kinder mit großen Augen wie schwarze Kirschen. Sie klammern sich an die Mütter. Oder halten still und fest die Hände der Väter. Das alles kann der Sturmbannführer nicht gebrauchen. Er rümpft die Nase. Am vorletzten Wagen entdeckt er einen blonden Schopf. Die Mutter ist dunkel. Westroff-Meyer steigt über Kleiderbündel. Der kleine Junge ist höchstens vier Jahre alt. Erbanlage ... rezessiv ... dominant, überlegt der Sturmbannführer. Seine Gedanken schaukeln um ein Leben. Der Junge hat blaue Augen, die die Angst jetzt dunkel färbt. Er legt den Kopf an die Hüfte der Mutter. Westroff-Meyer grinst breit, will Vertrauen erwecken.
»Popolski?« fragt er.
Die Frau nickt.
Die Hand des SS-Offiziers umspannt den Schädel des Kindes. Es ist eine väterliche Geste. Aber sie erfüllt nur den Index. Großartig, diese Kopfform, denkt Westroff-Meyer ... Er nimmt das Kind bei der Hand. Mit der anderen klammert es sich bei der Mutter fest. Die Mutter sieht ihn nur an, sagt kein Wort. Ihre Lippen zittern. Westroff-Meyer tritt einen Schritt zurück.
»Nu, nu?« brummt er.
Ein Wachmann sieht es. Das Bajonett schimmert auf seinem 178
Karabiner ... Der Mann hat Geistesgegenwart. Er lacht dabei.
»Die Kinder werden extra entlaust«, schreit er auf polnisch die Mutter an.
Der Sturmbannführer nickt dankbar. Die Frau schluckt.
»Los, los, Matka ... oder ich geb’ dir eins auf die Finger!«
brüllt sie der Posten an.
»Dem Jungen passiert nichts«, salbadert Westroff-Meyer,
»bestimmt nicht.«
Über das Gesicht der Mutter laufen Tränen. Mit einer wilden Bewegung reißt sie ihr Kind noch einmal an sich. Noch einmal. Dabei flüstert sie heiß in sein Ohr. Es ist der Abschied für immer.
»Nur entlaust«, beteuert der Sturmbannführer wieder. Dann hat er den Jungen an der Hand. Das Kind sieht ihn nicht an und dreht sich nicht um. Es steigt mit
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