3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Anfang an. Und jetzt wunderst du dich, mein Junge«, setzte er hinzu, »weil ich nie mit dir darüber gesprochen habe. Damit muß man selbst fertig werden! Zuerst warst du noch zu jung. Und später ... da wollte ich es dir nicht noch schwerer machen, an der Front ...«
Er kämpfte gegen seine Erregung und siegte mühselig. Sein Gesicht zuckte. Seine Augen waren feucht geworden. Klaus 173
wußte, daß er seinem Vater noch nie so nahegestanden hatte wie in diesem Moment.
Vater und Sohn gingen fast verlegen auseinander, als Doris in das Zimmer wirbelte. Sie bemerkte es und fragte:
»Komm’ ich ungelegen?«
»Nie«, erwiderte Klaus.
»Wie kannst du so etwas fragen?« setzte Hans Steinbach hinzu. Dann sagte er: »Du wirst sicher bald vom RAD entlassen. Hättest du Lust, in meiner Firma zu arbeiten?«
»Ja ... aber ...«
»Kein Aber! Mein Vorschlag ist sehr egoistisch«, fuhr der Direktor fort, »ich will dich soviel um mich haben wie überhaupt möglich.«
Er legte die rechte Hand um ihre Schulter, mit der linken umfaßte er Klaus. So schob er sie sanft aus seinem Arbeitszimmer. Er mußte allein sein, um die plötzliche, heiße Dankbarkeit darüber zu ertragen, daß sein Sohn zu sich gefunden hatte ...
Noch zweiundzwanzig Stunden. Die Uhr lief weiter. Mechanisch und brutal. Der Zeiger drehte sich. In Deutschland. Im Westen. Im Osten, wo der Vormarsch nach Moskau in der Schneewüste liegenblieb. Wo die Panzer gesprengt wurden und die geschlagenen und wieder gesammelten Russen im breiten Gegenstrom heranfluteten. Wo Armeen erfroren und verbluteten. In einem gespenstischen Furioso. Mit Mann und Roß und Wagen.
Und Klaus mußte nach dem Osten, wo Hunderttausende deutscher Soldaten für ihre erfrorenen Hände und Beine die Ostmedaille am laufenden Band erhielten, die die Landser den
›Gefrierfleischorden‹ nannten.
Klaus und Doris standen am Bahnhof. Er trug sein graues Alltagsgesicht. Aus den kalten Höhlen seiner schmucklosen 174
Fenster sah das Gebäude auf Tränen des Glücks und Szenen des Leids. Keiner, der fuhr, wußte, ob er wiederkam.
»In der Heimat ... in der Heimat ... da gibt’s ein Wiedersehen
...«
Nie wurde eine erbärmlichere Lüge von Millionen gesungen. Klaus schluckte.
»Doris ...«, sagte er rauh, »du hättest nicht mitkommen sollen.«
»Dann hätten wir uns um eine halbe Stunde gebracht ...«
»Aber diese halbe Stunde ist schrecklich.«
»Es ist niemals schrecklich, wenn wir zusammen sind«, erwiderte die junge Frau tapfer.
Nur nicht weinen, redete sie sich ein. Hinterher, wenn der Zug abgefahren ist, dann ja ... aber nicht jetzt! Es ihm nicht schwerer machen, als es schon sein muß.
»Es ist ganz gut, daß ich nach dem Osten komme ...«, versuchte der Fliegeroberleutnant zu trösten. »In der Luft sind wir dort ja noch überlegen.«
»Sicher ...«
»Ganz bestimmt ... das sage ich jetzt nicht bloß so ... wir haben doch viel bessere Maschinen ...«
»Ja, Klaus ...«
»In einem halben Jahr bin ich schon wieder mit Urlaub an der Reihe ... und dann haben wir vier Wochen, Mädchen, stell dir vor, vier ganze Wochen!«
Der Lautsprecher zerhackte den Traum. Der
Fronturlauberzug lief ein. Die Frauen am Bahnsteig stellten sich auf die Zehenspitzen, andere wagten den aussteigenden Soldaten nicht entgegenzusehen, aus Angst, die erwarteten Söhne und Männer könnten nicht unter ihnen sein. Das Schicksal ließ sich vier Minuten Zeit zum Umsteigen. 175
»Komm wieder«, sagte Doris.
»Bestimmt ...«
Er schob sich nach innen.
»Geh jetzt ...«
»Nein, ich warte noch«, entgegnete Doris fest. Er fand das Abteil, ergatterte ein Fenster, teilte es mit drei anderen Soldaten. Und in diesen letzten Sekunden sprachen Augen, Hände und Lippen vierstimmig. Das gleiche. Mit derselben Inbrunst. Mit der einstimmigen Verzweiflung. Mit der uniformierten Angst.
Dann ratterten die Achsen:
»Komm wieder ... komm wieder ... komm wieder ...«
Aber sie holperten ihre Forderung nicht für alle, die im Zuge waren ...
Wenn SS-Sturmbannführer Westroff-Meyer während seines Raubzugs durch Polen nachts aus dem Schlaf hochschreckt, tastet seine Hand automatisch nach der Flasche. Dann stehen die Maschinengewehre still, verstummen die Schreie der Mütter und das Weinen der Kinder. Dann zwingt sich der unmenschliche Menschenfänger, an die dunkelhaarige Ruth zu denken, seine rassige, wenn auch nicht rassische Sekretärin in Berlin.
Westroff-Meyer hat sein Soll erfüllt und ist schon auf der Rückreise. Er
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