3. Reich Lebensborn E.V.rtf
mit einem eisernen Gitter verschlossen. An der Mauer klebt ein bronzenes Schild:
›Entbindungsheim‹. Das ist alles.
Doris kommt am Abend an. Der Glutball der Sonne taucht in den Park und entflammt das eiserne Gitter zu einem goldenen Tor. Die junge Frau atmet tief. Schön ist es hier, denkt sie. Sie ist allein, muß ihr Gepäck selbst tragen, trotz ihres Zustandes. Oder vielleicht gerade deswegen. Die Bewegung beruft sich auf Nietzsche, als ob er SA-Obersturmführer gewesen sei.
»Gelobt sei, was hart macht«, faselt man dem Philosophen nach, der im übrigen an Gehirnerweichung gestorben ist. Doris drückt auf die Klingel, wartet ein paar Sekunden. Dann wallt ihr eine Gestalt wie ein Schloßgespenst entgegen: eine braune Schwester. Die junge Frau nennt ihren Namen. Die Schwester sucht ihn mit Vogelaugen auf einer Liste.
»In Ordnung«, antwortet sie kalt.
Sie öffnet das Tor nur halb. Sie nimmt der jungen Frau den Koffer nicht ab.
»Der Heimleiter wird morgen mit Ihnen sprechen«, sagt sie am Gang, »heute ist es zu spät. Dr. Jessrich ist nicht mehr im Hause.«
Bei dem Wort Heimleiter zuckt Doris zusammen. Sie denkt an Westroff-Meyer.
Im ersten Stock macht die Schwester vor einer Tür halt.
»Hier liegen Sie nur vorläufig«, kommentiert sie. Dann setzt sie hinzu: »Es ist übrigens erwünscht, daß Sie alle Privatgespräche vermeiden ... die Hausordnung werden Sie morgen von Dr. Jessrich erfahren ...«
Dann steht Doris im Zimmer. Nach dem ersten Blick glaubt 183
sie, schon einmal hiergewesen zu sein. Beinahe die gleiche Einrichtung wie im ersten Lebensborn-Heim. Reinliche, kalte Zweckmäßigkeit. Zwei Betten. Auf dem linken sitzt eine Frau im Morgenmantel. Sie legt das Buch beiseite, in dem sie gerade las.
Die Frau im Zimmer steht auf. Schwerfällig. Sie ist aschblond und groß. Um ihre blauen Augen liegen dunkle Ringe. Ihr Lächeln ist schwer zu deuten: ein bißchen Mitgefühl, etwas Spott.
»Ich bin Frau Grete«, sagt sie. Ihr Händedruck ist fest. Doris lächelt verlegen.
»Ich heiße Steinbach«, erwidert sie dann.
Die große Frau legt den Finger an den Mund. Gleichzeitig setzt sich die Ironie in ihrem Gesicht fest.
»Lieber nicht«, sagt sie dann rasch, »wie ist Ihr Vorname?«
»Doris.«
»Also Frau Doris«, lächelt die andere, »Nachnamen gibt es in diesem Hause nicht.«
»Warum?«
Frau Grete schüttelt den Kopf.
»Sie ahnungsloser Engel«, meint sie, »na ja, morgen wird man Ihnen Bescheid sagen ... wissen Sie ... es ist etwas seltsam hier, aber der Mensch gewöhnt sich an alles.«
Doris packt ihren Koffer aus. Obenauf liegt ein Bild von Klaus. Die junge Frau hält es in der Hand. Ihr Blick wird hell und strahlend.
»Das legen Sie mal lieber wieder schön weg«, sagt Frau Grete, »sonst nimmt man es Ihnen ab.«
»Wieso?« fragt Doris.
In diesem Moment sieht sie den Spruch über der Tür. Ihre Augen werden starr. Sie buchstabiert mit halbgeöffneten 184
Lippen:
»Vom Kindesvater zu sprechen ist taktlos.«
Die andere lächelt.
»Tolles Haus, nicht?«
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, erwidert Doris mit schmalen Lippen. »Was soll das bedeuten?«
Frau Grete betrachtet Doris aufmerksam.
»Sind Sie verheiratet?« fragt sie plötzlich. Hastig setzt sie hinzu: »Sie brauchen es mir nicht zu sagen ... Sie dürfen es eigentlich gar nicht, aber ...«
Doris unterbricht sie:
»Natürlich ... ja, ich bin verheiratet.«
»So natürlich ist das gar nicht«, versetzt Frau Grete,
»jedenfalls nicht hier ... sehen Sie, und deshalb steht der Spruch an der Wand.«
Jetzt endlich begreift Doris. Endstation Lebensborn, denkt sie. Aber dann kehren ihre Gedanken um. Es ist so gleichgültig, was sonst noch geschieht. So gleichgültig! Der Spruch hat nichts zu bedeuten. Nicht für sie. Nicht für das Kleine. Sie braucht Klaus Steinbach nicht vor der Welt zu verbergen, und vor ihrem Kind nicht den Vater zu verleugnen. Die Parole an der Wand geht sie nichts an. Sie übersieht sie wie eine obszöne Kritzelei in einer, schmuddeligen Vorstadtkneipe.
Daß Frau Grete bei der Beschreibung der
Eigentümlichkeiten dieses Heimes nicht übertrieben hat, stellt Doris am anderen Morgen fest. Das Frühstück wird gemeinsam eingenommen. Bei dieser Gelegenheit stellt man Doris vor. Die Oberschwester mit dem goldenen Parteiabzeichen auf der Tracht und einem Gesicht, das wirkt wie zerknittertes Fahnentuch, besorgt das nach der, Vorschrift.
»Frau Doris«, sagt sie laut, »Frau Edith ..., Frau Frieda
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