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3 - Wächter des Zwielichts

3 - Wächter des Zwielichts

Titel: 3 - Wächter des Zwielichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Verdammt lang her, dass ich mein letztes Geschäft gemacht. Doch anno dunnemals, was habe ich da für
    Geschäftchen gemacht! Hab Druck ausgeübt, denn drücken konnt ich
    wie kein Zweiter. Deshalb hab ja auch ich allein für alle die Geschäfte gemacht. Die haben sich gedrückt - und das Drücken blieb mir, dem Goldenen Reiter! Unmöglich, sich einen größeren Kontrast vorzustellen, als die leise Stimme von Soja Jaschtschenko, der Sängerin von Belaja gwardija, und diesem unvorstellbaren Chanson zur Bassgitarre. Trotzdem gefiel mir das Lied irgendwie. Der Sänger, der nur drei Akkorde hinbekam, streute sich weiter aufs Haupt: Aber noch habe ich mein letztes Geschäftchen nicht
    gemacht, Selbst wenn wohl kein Geschäft mehr die Größe von einst
    erreicht. Weil heute ja jeder über große Geschäfte bloß lacht, Weil es zum Druckmachen, zum Drücken nicht mehr reicht... Ich lachte los. Ein echter Underdog-Song. Alle Attribute stimmten: Der lyrische Held erinnert sich an die Tage seines vergangenen Ruhmes, beschreibt seine jetzige Misere und klagt darüber, dass er nie wieder etwas Großes vollbringen werde.
    Ich hatte den starken Verdacht, dass, wenn dieses Lied im Schlagerradio gespielt werden würde, neunzig Prozent der Hörer die Anspielungen nicht einmal mitbekämen.
    Die Gitarre stieß ein paar Seufzer aus. Dann stimmte der Sänger ein neues Lied an. Bin noch nie im Irrenhaus gewesen, Also frag mich bitte nicht danach ... Die Musik brach ab. Jemand seufzte jämmerlich und strich noch etwas über die Saiten.
    Ich zögerte nicht länger. Tauchte in den Pappkarton ab, holte eine Flasche Wodka und ein Stück Räucherwurst heraus. Stürmte ins Treppenhaus hinaus, knallte die Tür hinter mir zu und rannte hinauf.
    Die Wohnung des Mitternachtsbarden zu finden war nicht schwerer, als einen im Gebüsch versteckten Presslufthammer auszumachen. Einen Presslufthammer in Betrieb. 
     
Vögel singen hier nicht mehr, 
    Nirgends scheint die liebe Sonne, 
    Kinder toben nicht umher 
    böse bei der Abfalltonne. 
     
    Ich klingelte, fragte mich aber, ob er das überhaupt hören würde. Doch die Musik verstummte, und eine halbe Minute später öffnete sich die Tür.
    In der Türfüllung stand, freundlich lächelnd, ein kleinerer, gedrungener Mann von etwa dreißig Jahren. In seinen Händen hielt er die Tatwaffe, eine Bassgitarre. Mit finsterer Genugtuung bemerkte ich, dass der Barde ebenfalls einen »Mafiososchnitt« trug. Außerdem verwaschene Jeans und ein recht kurioses T-Shirt, auf dem ein Soldat in russischer Uniform mit einem riesigen Messer einem Schwarzen in amerikanischer Uniform den Hals durchschnitt. Darunter prangte der stolze Aufdruck: »Wir können euch auch daran erinnern, wer den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat.«
    »Auch nicht schlecht«, kommentierte der Gitarrist mein T-Shirt. »Komm rein.«
    Er nahm den Wodka und die Wurst an sich und verschwand in den Untiefen seiner Wohnung. Ich sah ihn mir durchs Zwielicht an. Ein Mensch.
    Mit einer derart wirren Aura, dass ich gar nicht erst versuchte, seinen Charakter zu verstehen. Mit grauen, rosafarbenen, roten und blauen Tönen. Ein erstaunlicher Cocktail. Ich folgte dem Gitarristen. Seine Wohnung war doppelt so groß wie meine. Mit seinem Gitarrenspiel hatte er sich die bestimmt nicht verdient... Aber das ging mich nichts an. Viel komischer war, dass die Wohnung von der Größe abgesehen, eine genaue Kopie meiner eigenen darstellte. Die Anfänge einer ambitionierten Modernisierung, die überstürzt abgebrochen und nur teilweise ausgeführt worden war.
    Mitten in dem enormen Wohnzimmer - fünfzehn mal fünfzehn Meter, mindestens - standen ein Stuhl, davor ein Mikroständer, ein guter Verstärker, wie ihn Profis benutzen, und zwei gigantische Boxen.
    An der Wand reihten sich drei riesige Kühlschränke von Bosch. Der Gitarrist öffnete den größten - in dem gähnende Leere herrschte - und legte den Wodka ins Eisfach. »Zu warm«, erklärte er. »Ich hab keinen Kühlschrank«, erklärte ich. »Kommt vor«, meinte er. »Lass.« »Was soll ich lassen?« Ich verstand nicht, was er meinte. »So heiße ich. Lass. Steht natürlich nicht im Pass.« »Anton«, stellte ich mich vor. »Laut Pass.« »Kommt vor«, räumte der Barde ein. »Wo wohnst du?« »Im siebten Stock«, antwortete ich. Nachdenklich kratzte sich Lass den Nacken. Blickte zu den offenen Fenstern hinüber. »Ich hab sie aufgemacht, damit es nicht so laut ist«, erklärte er. »Das halten meine Ohren nicht aus.

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