3 - Wächter des Zwielichts
Furcht seiner Umwelt heraufbeschwören.« Lass ließ nicht die geringste Nervosität erkennen. Nur Skepsis.
»Aber würde dieser Wunderknabe nicht dafür sorgen wollen, dass seine geliebte Frau und die Kinder die gleichen Fähigkeiten hätten? Mit der Zeit würden sie uns als biologische Art verdrängen.«
»Und wenn diese besonderen Fähigkeiten nicht vererbt werden könnten?«, fragte ich. »Oder nicht unbedingt. Oder wenn es unmöglich wäre, sie einem andern zu vermitteln? Dann würden die Menschen und die Anderen unabhängig voneinander existieren. Wenn es nicht viele dieser Anderen gibt, würden sie sich
»Ich glaube, du meinst eine zufällige Mutation, die zu übersinnlichen Fähigkeiten führt«, vermutete Lass. »Doch wenn diese Mutation zufällig und rezessiv ist, braucht sie uns nicht zu interessieren. Aber die Titanknochen kann man sich schon heute einsetzen lassen!« »Na toll!«, schnaubte ich.
Wir tranken auf ex. »Trotz allem hat unsere Situation was!«, meinte Lass verträumt. »Ein riesiges leeres Haus! Hundert Wohnungen, und nur neun Leute, die hier wohnen ... wenn du dich dazurechnest. Was könnte man hier nicht alles machen! Da bleibt dir die Spucke weg! Was für einen Film könnte man hier drehen! Oder stell dir mal einen Videoclip vor: ein luxuriöses Interieur, leere Restaurants, tote Waschsalons, rostende Fitnessgeräte und kalte Saunen, leere Schwimmbecken und unter einer Decke dahinvegetierende Tische im Casino. Durch all diese Pracht schlendert eine junge Frau. Schlendert und singt. Egal was.« »Drehst du Clips?«, hakte ich nach.
»Nö ...« Lass runzelte die Stirn. »Na ja ... einmal habe ich einer bekannten Punkgruppe geholfen, ein Video zu machen. Erst wurde es auf MTV gezeigt, dann aber verboten.« »Was war denn an dem so schrecklich?«
»Nichts weiter«, sagte Lass. »Ein stinknormales Lied, nichts, was zensiert werden müsste. Es ging sogar um Liebe. Das Video war komisch. Wir haben es in einem Krankenhaus für Personen mit Störungen im Bewegungsapparat gedreht. Haben Stroboskope in einem Saal aufgestellt, das Volkslied He, Kosak, he, Kosak, wo ist dein Pferd geblieben? angestellt und die Patienten gebeten zu tanzen. Das haben sie dann gemacht. Unter den Stroboskopen. So gut sie konnten. Dann haben wir auf diese Bilder eine neue Tonspur gelegt. War wirklich sehr stilvoll. Aber zeigen durften wir das nicht. War irgendwie nicht angesagt.« Ich stellte mir die Videospur vor und erschauerte.
»Clips sind nicht meine Stärke«, gab Lass zu. »Auch als Musiker tauge ich nicht viel... Einmal wurde ein Song von mir im Radio gespielt, spät nachts, in einer Sendung für alle möglichen Looser. Was glaubst du, was da passiert ist? Ein bekannter Komponist rief beim Radio an, um zu sagen, dass er sein ganzes Leben lang versucht habe, den Menschen mit seinen Liedern das Gute und Ewige nahe zu bringen, aber dieser eine Song mache sein ganzes Lebenswerk zunichte ... Du hast doch schon ein Lied von mir gehört. Bist du danach ein schlechter Kerl geworden?«
»Meiner Meinung hat das Lied sich lustig gemacht«, sagte ich. »Über die schlechten Kerle.«
»Danke«, meinte Lass traurig. »Aber das ist die Krux: dass viele das gar nicht kapieren. Die glauben, das ist alles ernst.«
»Dann sind sie Idioten«, versuchte ich den verkannten Barden zu trösten.
»Aber sie sind in der Mehrheit«, rief Lass aus. »Und die Kopfprothesen sind noch nicht ausgereift...«
Er griff nach der Flasche, goss Wodka ein. »Komm vorbei, wenn du wieder pinkeln musst«, forderte er mich auf. »Nur keine falsche Scham. Außerdem werde ich dir noch den Schlüssel von einer Wohnung im vierzehnten Stock geben. Die ist leer, hat aber Klos.« »Hat denn der Besitzer nichts dagegen?«, grinste ich.
»Dem ist jetzt alles egal. Und die Erben kriegen's nicht fertig, die Bude unter sich aufzuteilen.«
Drei
Um vier Uhr morgens kehrte ich in meine Wohnung zurück. Leicht betrunken, aber erstaunlich entspannt. Derart andere Menschen trifft man schließlich selten. Die Arbeit in der Wache erzieht dich in gewisser Weise dazu, pauschal zu denken. Der raucht nicht, der trinkt nicht, also ist er ein guter Junge. Aber der flucht, also ist er schlecht. Und wie man es auch dreht und wendet, uns interessieren nun mal in erster Linie die guten, unsere Stütze, während die schlechten eine potenzielle Basis für die Dunklen darstellen.
Darüber vergessen wir dann gern, wie unterschiedlich Menschen sein können.
Der Barde wusste
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