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3 - Wächter des Zwielichts

3 - Wächter des Zwielichts

Titel: 3 - Wächter des Zwielichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ordengeschmückten Oma eine teure Wohnung - die er später erben würde. Ein vernünftiger Zug. Und auf alle Fälle eine sehr gutmütige Geste. Nur das Hausmädchen hätte er sorgfältiger aussuchen sollen. Keine zwanzigjährige Frau, die sich um den Kapitalwert ihres jungen Gesichtchens und ihre gute Figur sorgte, sondern eine ältere, gestandene Krankenschwester...
    Die Alte blickte nachdenklich zum Fenster hinaus. »Besser hätte ich es in diesen andern Häusern, diesen kleinen ...«, meinte sie. »Das würde besser zu mir passen...«
    Ich hörte jedoch nicht zu. Sondern blickte auf den Tisch, der mit zerknitterten Briefen mit dem Stempel »Unbekannt verzogen« übersät war. Kein Wunder: Bei den Adressaten handelte es sich sowohl um den Allunionsvorsteher Kalinin wie auch um den Generalissimus Jossif Stalin, den Genossen Chruschtschow und sogar den »lieben Leonid Iljitsch Breschnew«.
    Die letzten Staatsoberhäupter hatte das Gedächtnis der Alten offenbar nicht mehr behalten können.
    Man brauchte nicht die Fähigkeiten eines Anderen, um zu schlussfolgern, was für einen Brief die Alte vor drei Tagen abgeschickt hatte.
    »Ich kann die Hände nicht in den Schoß legen«, jammerte die Alte, als sie meinen Blick auffing. »Ich bitte alle, mich in eine Schule zu schicken, eine Fliegerschule ... Um der Jugend zu erzählen, wie wir damals gelebt haben...«
    Trotzdem sah ich sie mir noch einmal durchs Zwielicht an. Und hätte beinah aufgeschrien.
    Die alte Pilotin war eine potenzielle Andere. Freilich, ihre Kraft war nicht besonders groß, aber nicht zu übersehen!
    Nur, sie in diesem Alter zu initiieren, das konnte ich mir nicht vorstellen. Mit sechzig Jahren, mit siebzig - aber mit achtzig?
    Die Belastung würde sie umbringen. Sie würde als körperloser, wahnsinniger Schatten ins Zwielicht eingehen...
    Alle kannst du nicht aufspüren. Selbst in Moskau nicht, wo es so viele Wächter gibt. Mitunter erkennen wir unsere Brüder und Schwestern zu spät!
    Tamara trat ein, mit einem Tablett, auf dem Schälchen mit Gebäck und Pralinen, eine Teekanne und wunderschöne alte Tassen standen. Lautlos stellte sie die Schalen auf den Tisch.
    Die Alte döste bereits, obwohl sie nach wie vor gerade und sicher auf dem Stuhl saß.
    Leise stand ich auf. »Ich gehe dann«, meinte ich mit einem Nicken zu Tamara. »Passen Sie ein bisschen besser auf sie auf, sie vergisst schon mal, wo sie wohnt.«
    »Ich lasse sie nicht aus den Augen!«, entgegnete Tamara, wobei sie mit den Wimpern klimperte. »Wie können Sie so was nur denken...« Ich überprüfte auch sie. Keine Anlagen zur Anderen. Eine normale junge Frau. Auf ihre Art sogar gut.
    »Schreibt sie viele Briefe?«, fragte ich sie und deutete ein Lächeln an.
    Mein Lächeln fasste Tamara als Einladung auf, ebenfalls zu lächeln. »Die ganze Zeit! An Stalin, Breschnew ... Komischer Humor, nicht wahr?« Kein Widerspruch meinerseits. Von allen Cafes und Restaurants, mit denen das Assol gespickt war, hatte nur das Cafe im Supermarkt auf. Eine sehr sympathische Lokalität, die eine Ebene über den Kassen lag. Mit einem einzigartigen Blick auf den gesamten Supermarkt. Vermutlich machte es Spaß, dort einen Kaffee zu trinken, bevor man durch die Warenregale schlenderte, und sich die Route fürs Shopping zurechtlegte. Was für ein grauenvolles Wort, ein schrecklicher Anglizismus, der über das Russische hergefallen ist wie eine Zecke über wehrlose Beute!
    Dort aß ich zu Mittag und gab mir alle Mühe, mich von den Preisen nicht einschüchtern zu lassen. Danach bestellte ich mir einen doppelten Espresso, kaufte mir ein Päckchen Zigaretten - ich rauche nicht oft - und versuchte, wie ein Detektiv zu denken. Wer hatte den Brief abgeschickt?
    Ein abtrünniger Anderer oder ein Mensch, der Auftraggeber des Anderen?
    Irgendwie schien das beiden nicht sonderlich viel zu bringen. Es war sogar völlig blödsinnig! Und die Version mit einem weiteren Menschen, der versuchte, eine Initiierung zu verhindern, schien mir reichlich melodramatisch.
    Denke, Kopf, denke! Du hast es schon mit vertrackteren Problemen zu tun gehabt. Es gibt einen Anderen, der zum Verräter geworden ist. Er hat einen Auftraggeber. Jeweils ein Brief ist an die Wachen und die Inquisition geschickt worden. Also stammen diese Briefe vermutlich von einem Anderen. Einem starken, klugen Anderen, der viel weiß. Bleibt die Frage, wozu.
    Vermutlich gab es darauf eine Antwort. Nämlich um diese Initiierung zu verhindern. Um uns den

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