3 - Wächter des Zwielichts
kümmern und neue Verträge abschließen? Ich wählte Semjons Nummer. Genug des Detektivspiels. Lichte lügen einander nicht an. Für Treffen, die nicht ganz beruflich, aber auch nicht völlig privat sind, gibt es nichts besseres als kleine Kneipen mit maximal fünf, sechs Tischen. Kneipen fand man früher in Moskau gar nicht. Wenn schon öffentliche Verköstigung, dann in einem Raum, in dem man wunderbar große Partys geben konnte. Jetzt haben wir auch Kneipen.
Eine solche völlig unauffällige Lokalität lag im Zentrum, in der Soljanka. Die Haustür führte direkt auf die Straße hinaus, drinnen gab es fünf Tische, eine kleine Bar- im Assol sind selbst die Bartresen in den Wohnungen beeindruckender.
Auch das Publikum wirkte absolut durchschnittlich. Kein Club für Verfechter bestimmter Interessen, wie Geser sie so gern sammelt: Hier treffen sich die Taucher, hier die Profidiebe.
Die Küche konnte schon gar keine Extravaganz für sich beanspruchen. Zwei Sorten Bier vom Fass, diverse Alkoholika, Würstchen aus der Mikrowelle und Pommes. Fastfood.
Ob Semjon deshalb vorgeschlagen hatte, dass wir uns hier treffen? Er passte nämlich hundertprozentig in diese Kneipe. Auch ich fiel übrigens nicht sonderlich aus dem Rahmen...
Nachdem Semjon den Schaum geräuschvoll an den Glasrand gepustet hatte - nur in alten Filmen hatte ich dergleichen schon gesehen -, trank er den ersten Schluck von seinem Klinsker Goldbräu und sah mich friedfertig an. »Erzähl mal.«
»Hast du schon von der Krise gehört?«, packte ich den Stier gleich bei den Hörnern. »Von welche genau?«, wollte Semjon wissen. »Von der Krise mit den anonymen Briefen.«
Semjon nickte. »Ich habe gerade die zeitweilige Registrierung für unsern Gast aus Prag vorgenommen«, erzählte er mir sogar.
»Weißt du, was ich glaube«, sagte ich, wobei ich das Bierglas auf dem sauberen Tischtuch drehte. »Der Absender ist ein Anderer.«
»Ohne Zweifel!«, erwiderte Semjon. »Trink ruhig dein Bier. Wenn du willst, mach ich dich nachher wieder nüchtern.« »Da wirst du keinen Erfolg haben, ich bin versiegelt.«
Mit zusammengekniffenen Augen sah Semjon mich an. Und musste erkennen, dass es stimmte und dass es über seine Kräfte ging, die für jede Magie undurchdringliche Schale aufzubrechen, die von keinem Geringeren als Geser um mich gelegt worden war.
»Also«, fuhr ich fort. »Wenn der Absender ein Anderer ist, was will er dann damit erreichen?«
»Die Isolierung oder Eliminierung des Menschen, der sein Auftraggeber ist«, antwortete Semjon gelassen. »Offenbar hat er ihm das leichtfertige Versprechen gegeben, aus ihm einen Anderen zu machen. Und jetzt kriegt er Muffensausen.«
Meine gesamten heroischen geistigen Mühen hätte ich mir sparen können. Semjon, der nicht direkt mit dem Fall befasst war, kam mit seinem eigenen Verstand problemlos genauso weit. »Es ist ein Lichter Anderer«, sagte ich. »Warum?«, wunderte sich Semjon.
»Ein Dunkler hätte jede Menge Möglichkeiten, ein Versprechen nicht einzuhalten.«
Semjon dachte nach, kaute auf einem Stück Pommes herum und meinte dann, dass dem wohl so sei. Aber hundertprozentig wollte er die Verwicklung eines Dunklen in die Sache nicht ausschließen. Denn auch Dunkle könnten unüberlegt etwas schwören, woran sie dann gebunden seien. Sie könnten zum Beispiel etwas beim Dunkel schwören, die Urkraft als Zeuge anrufen. Danach kämen sie nicht so ohne weiteres davon los.
»Stimmt«, pflichtete ich ihm bei. »Trotzdem sind die Chancen größer, dass einer von unsern Leuten Mist gebaut hat.« Semjon nickte. »Ich war's nicht«, sagte er dann. Ich wich seinem Blick aus.
»Mach dir keinen Kopf«, beruhigte mich Semjon mit gelassener Stimme. »Du hast alles richtig analysiert und richtig gemacht. Auch wir können Mist bauen. Auch ich kann unbedacht handeln. Danke, dass du mit mir reden wolltest und nicht zum Chef gerannt bist... Ich gebe dir mein Wort, Lichter Magier Anton Gorodezki, dass ich die dir bekannten Briefe nicht abgeschickt habe und ihren Absender nicht kenne.« »Weißt du, da bin ich sehr froh«, gab ich ehrlich zu.
»Und ich erst«, grinste Semjon. »Ich sage dir eins: Der Andere, der diesen Fehler gemacht hat, ist ein echter Dreckskerl. Nicht nur, dass er die Wachen mit in die Sache zieht, nein, auch noch die Inquisition. Entweder hat er nur Stroh im Kopf, oder er hat alles bestens kalkuliert. Im ersten Fall ist er erledigt, im zweiten wird er seine Haut retten können. Ich wette zwei zu
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