3 - Wächter des Zwielichts
nach.
»Ja. Was hatte ich dummes Weib auch in der Stadt verloren?« Arina lachte. »Jetzt sitze ich hier, gucke fern und lese meine Bücher. Hole das Versäumte nach. Ich habe eine alte Freundin ge- »Gut«, meinte ich. »Dann kommt jetzt die übliche Prozedur. Haben Sie ein Blatt Papier?« »Ja.«
»Schreiben Sie eine Erklärung. Name, Eltern, Geburtsjahr, Initiierungsjahr, ob Sie einmal den Wachen angehört haben, auf welcher Kraftstufe Sie stehen...«
Gehorsam nahm Arina Blatt und Bleistift zur Hand. Ich runzelte die Stirn, bot ihr aber keinen Kugelschreiber an. Sollte sie doch mit einer Gänsefeder schreiben.
»Wann Sie sich das letzte Mal angemeldet oder Ihren Wohnsitz einem offiziellen Organ der Wachen mitgeteilt haben ... Wo Sie sich danach aufgehalten haben.«
»Ich werde das nicht schreiben.« Arina legte den Stift beiseite. »Was soll neuerdings dieses Geschreibsel ... Wen geht es etwas an, wo ich meine alten Knochen wärme?«
»Hören Sie doch auf, wie eine Dorfalte zu sprechen, Arina!«, bat ich. »Sie haben sich doch vorhin ganz normal ausgedrückt!«
»Da habe ich mich verstellt«, erklärte Arina, ohne mit der Wimper zu zucken. »Gut, wie Sie wollen. Nur verzichten Sie dann auch auf diesen Armeeton.«
Mit einer peniblen, engen Schrift schrieb sie rasch das ganze Blatt voll. Reichte es mir.
Sie war jünger, als ich vermutet hatte. Noch nicht einmal zweihundert Jahre alt. Ihre Mutter war eine Bäuerin, ihr Vater unbekannt, in ihrer Familie gab es keine Anderen. Mit elf Jahren wurde das Mädchen von einem Dunklen Magier oder, wie Arina die Magier hartnäckig nannte, von einem Zauberkundigen initiiert. Einem Zugereisten aus Deutschland. Nebenbei entjungferte er sie, worauf Arina hinweisen zu müssen glaubte, wobei sie sich ein »geiler Bock« nicht verkneifen konnte. Ach - so war das! Der Deutsche hatte das Mädchen in seine Dienste genommen und es ausgebildet - in jeder Hinsicht des Wortes. Offenbar war er weder besonders klug noch besonders sensibel: Mit dreizehn Jahren verfügte das Mädchen über so viel Kraft, dass sie in einem fairen Duell siegte und ihren Lehrer dematerialisierte. Bei dem es sich übrigens um einen Magier vierten Grades handelte. Danach fiel sie den damaligen Wachen auf. Weitere Straftaten hatte sie nicht begangen, schenkte man ihrer Erklärung Glauben. Städte mochte sie nicht, sie lebte auf dem Lande und bestritt ihren Lebensunterhalts mit kleinen Zaubereien. Nach der Revolution wollte man sie mehrmals enteignen ... Die Bauern wussten, dass es sich bei ihr um eine Hexe handelte, und beschlossen irgendwann, ihr die Tscheka auf den Hals zu hetzen. Mauser gegen Magie, das muss man sich mal vorstellen! Die Magie siegte, aber das konnte natürlich nicht ewig so weitergehen. Im Jahre 1934 beschloss Arina daher... Ich sah die Hexe an. »Wirklich?«, fragte ich.
»Ich hielt Winterschlaf«, gab Arina gelassen Auskunft. »Ich wusste, dass die rote Pest lange dauern würde. Den Umständen gemäß kann der Schlaf auf sechs, achtzehn oder sechzig Jahre festgelegt werden. Wir Hexen haben gelernt, alles Mögliche zu bedenken ... Sechs oder achtzehn Jahre, das reicht bei Kommunisten nicht. Deshalb schlief ich für sechzig Jahre ein.« Sie zögerte kurz. »Ich habe hier geschlafen«, gestand sie dann schließlich. »Ich habe die Hütte so gut umzäunt, wie ich konnte, damit weder ein Mensch noch ein Anderer an sie herankam...«
Nun passte alles. Eine wirre Zeit, in der Andere fast so oft wie gewöhnliche Menschen starben. So mancher ging da verloren...
»Und Sie haben niemandem gesagt, dass Sie hier schlafen?«, hakte ich nach. »Keiner Freundin...«
»Wenn ich etwas verraten hätte«, amüsierte sich Arina, »dann würden wir beide jetzt nicht miteinander reden, Lichter.« »Warum nicht?«
Sie nickte in Richtung Schrank. »Das ist mein Reichtum. Und das ist nicht wenig.« Ich faltete die Erklärung zusammen und steckte sie in die Tasche. »Stimmt«, meinte ich. »Trotzdem habe ich hier ein seltenes Buch nicht entdeckt.« »Welches?«, wunderte sich die Hexe. »Das Fuaran.«
»So ein großer Junge, und glaubt noch an Märchen...«, schnaubte Arina. »Dieses Buch gibt es nicht.«
»Na klar. Das Mädchen hat sich die Bezeichnung ganz allein ausgedacht.«
»Ich habe ihr Gedächtnis nicht gesäubert«, seufzte Arina. »Lohnt es sich denn nicht mehr, Gutes zu tun?« »Wo ist das Buch?«, fragte ich scharf.
»Drittes Regal von unten, viertes Buch von links«, antwortete Arina
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