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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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den aus Atemmangel weit aufgesperrten Mund. Hinüber durften wir nicht sogleich, weil wir möglicherweise gesehen werden konnten. Ich verabredete mit dem Scheik ein zweimaliges Froschquaken als Zeichen, ging eine Strecke flußaufwärts zurück und schwamm dann hinüber, um von dem Landungspunkt aus das Lager zu beschleichen. Die Kerle mußten sich außerordentlich sicher gefühlt haben, denn ich fand keinen einzigen Menschen wach.
    Da lagen die Schirwani-Kurden einer neben dem anderen; viele von ihnen schnarchten laut. Unweit davon standen fünf Bäume; an diese waren die weiblichen Gefangenen fest angebunden, und rund herum lagen elf Armenier, auch im Schlaf. Weiterhin sah ich die Pferde, teils weidend, teils im Gras liegend. Der Perser aber war nicht zu entdecken. Ich hatte keine Zeit, lange nach ihm zu suchen, und schlich mich nach der Uferböschung hin, um das verabredete Zeichen zu geben. Da hörte ich rechts von mir im Wasser ein auffälliges Plätschern und Gurgeln, und als ich genauer hinsah, bemerkte ich etwas Rundes, was ein menschlicher Kopf zu sein schien.
    „Sprich leise, ganz leise, daß nur ich dich höre; ich will dich retten“, flüsterte ich ihm zu. „Bist du Mirza Muzaffer, der Merd adalet von Yaltemir?“
    „Ja. Gehörst du denn nicht zu den Räubern?“
    „Nein.“
    „Ya rab, o Gott, sollte es Hilfe für mich geben? Meine Leute sind alle ermordet worden, und meine Tochter ist gefangen!“
    „Bist du denn im Wasser angebunden?“
    „Ja. Man hat mir die Hände auf den Rücken gefesselt und die Füße mit Riemen an einen großen Stein gebunden, den man mit mir ins Wasser schaffte, so daß es mir fast bis zum Mund reicht. Wer du auch seist, o Herr, erbarme dich meiner, und rette mich!“
    „Ich bin der Christenhund, der räudige, den du heute wiederholt verflucht hast. Ich würde dich gern losmachen, aber da müßte ich dich berühren, und die Berührung mit einem solchen Giaur verunreinigt dich doch!“
    „Du bist es, du! Emir, verzeihe mir; laß Gnade walten! Mach mich los, und ich will niemals wieder einen Christen verhöhnen, sondern für alle täglich beten, die deines Glaubens sind!“
    „Tue das, so wirst du Allahs Wohlgefallen haben! Er ist euer Gott und unser Vater; vergiß das nie!“
    Ich zog das Messer und watete hin zu ihm. Erst nach mehrmaligem Tauchen gelang es mir, die Riemen zu durchschneiden; dann machte ich ihm auch die Arme frei und zog ihn, der furchtbar ermattet war, nach dem Ufer.
    „Setz dich hier nieder, und verhalte dich ganz still, was auch kommen möge!“
    Nun ahmte ich das Quaken des Forsches zweimal nach und sah darauf die Zibari durch die Furt leise und vorsichtig herüberkommen. Als sie sich alle am Ufer befanden, instruierte ich sie, und dann ging es leise, leise die Böschung hinan. Fünfzehn Mann umringten die Armenier und fünfundvierzig die Kurden; das geschah so unhörbar, daß keiner von ihnen erwachte. Dann packte jeder seinen Mann. Es gab ein wüstes Schreien und Brüllen, aber nur ein kurzes Ringen, und nach Verlauf von wenigen Minuten waren wir Herren des Platzes; die Feinde lagen gebunden an der Erde; keiner von ihnen war tot, doch hatten einige, die nur mit der Waffe zu überwältigen gewesen waren, Wunden davongetragen.
    Um die Befreiung der Gefangenen brauchte ich mich nicht zu kümmern; das besorgte der Scheik mit seinem Sohn, welcher seine Schefaka frohlockend in die Arme schloß.
    Während alle laut jubelten und jeder mit sich selbst beschäftigt war, zog ich den kleinen Hadschi mit mir fort.
    „Komm, Halef! Wir nehmen zwei Schirbani-Pferde und reiten nach unserm Lager, um dort zu verkünden, daß unser Werk gelungen ist.“
    „Jetzt fort, Sihdi?“ fragte er. „Denkst du denn gar nicht daran, daß wir jetzt den wohlverdienten Dank einzuernten haben?“
    „Eben darum will ich fort. Wir haben selbst zu danken, nämlich Gott dafür, daß wir, die wir uns ja auch in großer Not befanden, allen Gefahren glücklich entgangen sind. Also komm!“
    Wir bestiegen zwei Pferde und lenkten sie nach der Furt.
    „Halt, Emir, wohin?“ rief der Scheik, der das bemerkte.
    „Nach unserem Lager.“
    „Bleib da, bleib da; Schefaka will mit dir sprechen.“
    „Später, später!“
    Wir trieben die Pferde in das Wasser und ritten, drüben angekommen, am Fluß aufwärts, bis wir das Lager erreichten, wo unsere Botschaft die größte Freude erregte, denn Schefaka war wiedergefunden, und alles, was den Besiegten gehörte, natürlich auch ihre Pferde,

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