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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Frauenkopf aus weißem, reinstem Marmor gekrönt, unter welchem auf dunklem Schleier in großen goldenen Buchstaben der Name ‚Yin‘ zu lesen war. Hinten wehte die chinesische Flagge mit dem gelben Sonnenball auf rotem Grund.
    „Wahrhaftig ein Unikum!“ rief Wilkens begeistert aus. „Macht wenigstens zwanzig Knoten die Stunde! Habe so etwas noch nicht gesehen! Eine Vermählung des Leichtesten und des Unbeholfensten, der Schoner- und Dschunkenform, und doch nichts als Linien, welche eiligst vorwärtsdrängen. Diese Dampfjacht ist ein Meisterstück! Aber daß sie einem Chinesen gehört, ist mir unbegreiflich! Was bedeutet das Wort Yin?“
    „Es heißt soviel wie Güte“, antwortete ich; „das wird wohl der Name des schönen Wesens sein, dessen Marmorbild vom Bug getragen wird. Es sind chinesische Gesichtszüge, und doch auch wieder nicht. Diese Jacht ist ein Rätsel, und ich wollte, daß ich es lösen dürfte!“
    Es war mir beschieden, daß ich es gar nicht zu lösen brauchte, weil es sich mir freiwillig offenbarte.
    Schade, daß das Deck mit der Sonnenleinwand verhangen war! Man sah keinen Menschen als nur den hochstehenden Kommandierenden, und dieser hatte einen so breitkrempigen, chinesischen Hut auf dem Kopf, daß die Gesichtszüge nicht zu erkennen waren, zumal die Jacht in ziemlicher Entfernung an der ‚Coen‘ vorüberging. Sie tat das so zierlich, so anmutig und doch so kraftgewiß, daß nur eine vollständig ausgewachsene Landratte nicht darüber in Entzücken geraten wäre. Man konnte getrost darauf schwören, daß alle Augen, die es hier im und am Hafen gab, jetzt ausschließlich nur auf die unvergleichliche ‚Yin‘ gerichtet seien!
    Sie schien gar nicht vor Anker gehen zu wollen, sondern sie drehte nur bei und gab ein Boot mit einem Mann und zwei Ruderern ab, welches Richtung nach dem Land nahm. Dann dampfte sie wieder, mit fast unhörbarer Maschine und vollständig rauchlos atmend, zum Hafen hinaus.
    „Wie viele Millionen dieser Chinese wohl besitzen mag!“ seufzte Wilkens. „Er selbst aber kommandiert die Jacht jedenfalls nicht! So eine spielende Kurve bei so einer gedankenschnellen Trennung des Bootes, und dann so rund wieder herum und mit Vollkraft hinaus, das bringt kein Chinese fertig; das kann nur jemand, dem ich die Hand dafür drücken möchte, daß ich es habe ansehen dürfen. Die Jacht kam, gab dem Hafen mit dem Boot einen Kuß und ging dann wieder fort. So ist es, nicht anders. Morgen werde ich denken, daß ich diese Marmor-‚Yin‘ nicht gesehen, sondern nur geträumt habe!“
    Der Aufenthalt der ‚Coen‘ währte nur kurze Zeit. Ihr Kapitän hatte an Land zu tun und bat mich, für diese Zeit bei ihm zu bleiben. Daher mußte ich unterlassen, was ich sonst wohl getan hätte, nämlich mich, um über die ‚Yin‘ etwas zu erfahren, nach dem von ihr ausgesetzten Boot zu erkundigen. Als er seine geschäftlichen Angelegenheiten erledigt hatte, war von seinem Dampfer aus das erste Zeichen für die Abfahrt schon gegeben worden; er mußte sich beeilen; darum begleitete ich ihn nicht wieder an Bord, sondern nur bis an das Wasser. Der Abschied von ihm war nur für einige Tage, darum kurz und ohne überflüssige Worte; dann ließ ich mich in einer Rikscha nach dem Hotel fahren. Dort angekommen, erfuhr ich von Omar eine Neuigkeit, welche er mir in sehr mißbilligender Weise mitteilte:
    „Sihdi, ich bin zornig; ja ich bin sogar wütend! Man hat keine Rücksicht auf dich genommen! Du willst ruhig und ungestört hier wohnen; aber man hat gerade die Zimmer, welche über uns liegen, an zwei Inglis abgegeben, die vor einer halben Stunde hier eingetroffen sind. Man hört hier unten jeden Schritt, den sie oben machen, und sie sprechen so laut, als ob sie ganz allein auf der Erde wären. Soll ich hinaufgehen und ihnen sagen, wie sie sich zu verhalten haben?“
    „Nein. Jeder hat das Recht, zu wohnen, wo er will. Wenn ich mich von ihnen belästigt fühle, werde ich ein anderes Zimmer nehmen; es sind ja mehr als genug Wohnungen da. Der Mensch hat nicht stets das zu wollen, was gerade ihm beliebt, denn jeder ist auf andere angewiesen. Man muß sich nach der Decke strecken!“
    „Decke – – – Decke – – –!“ wiederholte er. Das war ein ihm ganz fremdes Gleichnis. Er ging langsamen Schrittes in den Garten hinüber und lehnte sich dort an einen Baum. Seine Lippen bewegten sich. Er lernte die sieben Worte von der ‚Decke‘ auswendig und dachte über ihre Bedeutung nach. Das war so

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