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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aufgeweckt worden, und während des heutigen Rittes hatte sie mich hin- und zurückbegleitet, um mich nun daheim festzuhalten, damit ich darangehen möge, mich von ihr zu befreien oder, was wahrscheinlich richtiger ist, sie endlich wieder freizugeben. Es handelte sich, wie gesagt, um nichts Großes, sondern nur um das Gedicht ‚Tragt Euer Evangelium hinaus‘, und wer nicht weiß, was im Seelenleben ein unvollendeter Gedanke zu bedeuten hat, der wird es nicht begreifen, daß man sich von so etwas beunruhigen lassen kann. Wer aber gewöhnt ist, seinen geistigen Himmel immer rein, klar und licht zu sehen, dem wird jeder nur halb fertig gedachte Gedanke zu einer Wolke, welche ihn nicht nur direkt stört, sondern auch auf alle seine anderen Gedanken ihren Schatten wirft. Wenn wir von einem Licht der inneren Welt des Menschen sprechen, so meinen wir damit jene alles durchdringende und das einzelne zum Ganzen fügende Logik, welche den Geist von der Materie zu scheiden und ihn sich anzueignen hat. Diese Logik duldet nichts Unfertiges, nichts Halbvollbrachtes, weil sie nur aus dem Klargewordenen zu neuer Klarheit schreiten kann. Da gibt es nichts Unwichtiges, nichts Nebensächliches, was man im Dunkel, ohne daß es schadet, liegenlassen darf. Freilich, wer in der Weise nur für das Äußere lebt, daß er für diese innere Welt keine Zeit und kein Verständnis hat, oder wer gar ein so krasser Materialist ist, daß er nicht ansteht, eine unendlich reiche Schöpfung, die er in sich trägt, zu leugnen, dem kann keine Wolke seinen Himmel stören, weil er eben keinen Himmel hat.
    Es war mir, als ob dieses Gedicht ein notwendiger Teil meines Verhältnisses zu Wallers sei, als ob ich es unbedingt vollenden müsse, wenn dieses Verhältnis so, wie sein Anfang es versprochen hatte, sich ausgestalten sollte, und so nahm ich mir vor, heute nachmittag der fertigen ersten Strophe die noch fehlende zweite hinzuzufügen. Aber ob es mir gelingen werde, das wußte ich freilich nicht, denn ich verstehe unter ‚Dichten‘ nicht das, was tausend andere damit meinen.
    Aber sonderbar, kaum hatte ich das Papier vor mich hingelegt, so war es mir, als ob jenes ‚unsichtbare Wesen‘, mir die nötigen Worte zuflüstere. Ich brauchte die erste Strophe gar nicht erst wieder zu vergliedern, um ihr die zweite logisch folgen zu lassen, und es dauerte wohl kaum zehn Minuten, so hatte ich geschrieben:
    „Tragt Euer Evangelium hinaus,
Indem Ihr's lebt und lehrt an jedem Orte,
Und alle Welt sei Euer Gotteshaus,
In welchem Ihr erklingt als Engelsworte.
Gebt Liebe nur, gebt Liebe nur allein;
Laßt ihren Puls durch alle Länder fließen;
Dann wird die Erde Christi Kirche sein
Und wieder eins von Gottes Paradiesen!“
    Nicht lange hierauf lief die ‚Coen‘ in den Hafen. Ich ließ mich an Bord bringen, um Kommandant Wilkens die Hand zu drücken. Er war ein tüchtiger, vielbefahrener Seemann, ein lang und stark gebauter, sehr aristokratisch erscheinender und auch wirklich vornehm denkender ‚Mijnheer‘ und, last not least, ein seelenguter Mensch, der für seine Passagiere und Untergebenen wie ein Vater sorgte. Er freute sich, als ich mich für die Rückfahrt nach Uleh-leh anmeldete, und bat mich, doch lieber gleich mit nach Java zu gehen. Es sollte aber anders kommen, als ich dachte. Die Einleitung dazu kam, ohne daß ich es ahnte, soeben auf der Route von Laknawa herbeigedampft.
    Ich war hinunter in den Speisesaal gegangen, um wieder einmal auf der dortstehenden prächtigen Orgel zu spielen, welche Wilkens sich aus Amerika hatte kommen lassen. Da unterbrach er mich, indem er durch das geöffnete Oberlicht herunterrief:
    „Wenn Sie etwas Schönes sehen wollen, so kommen Sie herauf! Es ist geradezu ein nautisches Ereignis, ein Unikum!“
    Ich eilte hinauf. Er stand auf dem Hinterdeck und beobachtete mit bewundernden Blicken ein Fahrzeug, welches leicht und schnell, als ob das Wasser ihm gar keinen Widerstand biete, herbeigeflogen kam. Es war eine Dampfjacht, so scharf und kühn auf den Kiel gesetzt, wie nur die Amerikaner es fertigbringen oder – brachten, denn wir Deutschen verstehen das jetzt auch! Die Konturen waren zum Erstaunen schön und rein. Die Decklinie stieg vorn und hinten in die Höhe, denn sonderbarerweise war sowohl der Vorder- wie auch der Quarterplatz nach Dschunkenart erhoben, was dem Schiff etwas Fremdartiges, fast möchte ich sagen, Märchenhaftes gab. Der nach Klipperart schneidig gezogene Bug wurde von einem wunderbar schönen

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