315 - Apokalypse
den restlichen fünf Räten breit. Keiner war in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, nachdem der König über den schrecklichen Verdacht berichtet hatte.
Kurz darauf musste Chefwissenschaftler Chöpal vortanzen. Der etwas füllige Mann in den Fünfzigern mit den extrem geschlitzten Augen und dem langen schwarzen Haar, das ihm über die linke Schulter bis auf Bauchnabelhöhe fiel, trat mit finsteren Blicken vor die Führungselite des Reiches. Es war unschwer zu erkennen, dass diese finsteren Blicke vor allem dem König galten.
»Natürlich kann ich mich mit meinen Leuten umgehend an die Arbeit machen«, erwiderte Chöpal, nachdem er mit der Sachlage vertraut gemacht worden war. »Es würde mir aber sehr helfen, meine Gedanken zu ordnen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, wenn ich eine Entschuldigung vom König hören würde. Es war nicht richtig, was du mit meiner Tante Khyentse gemacht hast. Die Verhaftung der alten Frau war völlig überzogen. Damit hast du ihren Selbstmord im Gefängnis geradezu provoziert.«
Lobsang Champa zog die Nase hoch. Er erinnerte sich daran, dass die Große Rätin Khyentse durch ihre Einfalt für das Freikommen des ZERSTÖRERS und einige andere unerfreuliche Dinge, die dem Reich schwer geschadet hatten, persönlich verantwortlich gewesen war. Selbst die Haftstrafe war zu milde gewesen für ihr verantwortungsloses Tun.
»Wir werden uns über dieses Thema ein anderes Mal unterhalten, Chöpal. Jetzt gibt es Wichtigeres zu tun. Die Welt muss gerettet werden.«
Chöpal war völlig anderer Ansicht. Er bestand nun sogar auf einer öffentlichen Entschuldigung und Rehabilitation seiner Tante, bevor er auch nur einen Finger rührte. Der Chefwissenschaftler war sogar bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen. Aber Lobsang Champa konnte nicht über seinen Schatten springen.
Schließlich vergatterte er alle Anwesenden zu strengstem Stillschweigen. »Wir dürfen keine Panik im Volk auslösen«, schloss der König. »Wenn das Verhängnis schon kommt, dann soll es die Menschen unvorbereitet treffen. Es ist besser, bis zuletzt ohne das Wissen um den nahenden Tod zu leben.«
»Und was wirst du tun, König?«, fragte Lhündrub wutentbrannt.
»Ich werde mich zurückziehen und beten, mein Freund.«
***
Im Flächenräumer
Xij Hamlet stand mit hängenden Schultern in der Schleuse. Sie atmete schwer, ihr ganzer Körper war nassgeschwitzt. Das hatte allerdings rein gar nichts mit der aktivierten Heizung zu tun, oder mit Matts marsianischer Thermojacke, die sie trug. Sondern ausschließlich mit dem verzweifelten inneren Abwehrkampf, den sie Manil’bud lieferte, ihrem ersten, ursprünglichen Bewusstsein. Es war ein besonders schwieriger Kampf, denn Xij wehrte sich auf gewisse Art und Weise gegen sich selbst! Und sie drohte nun endgültig zu unterliegen.
Komm, Schlampe, bring es jetzt zu Ende. Der Streiter ist da. Ich spüre ihn, so groß, so mächtig...
Xij krümmte sich körperlich unter dem irren Lachen der Hydree, das wie Schläge eines riesigen mentalen Hammers in ihren Geist donnerte. Sie stöhnte. Tränen liefen aus ihren Augen. Wie durch einen Nebel nahm sie Grao wahr, der sich durch die Schleuse in Richtung Zentrale fortbewegte. Die Echse dort vorne und der Schneehaufen vor ihr, aus dem sie Grao befreit und ihn seiner Fesseln entledigt hatte, das alles schien nicht real zu sein, sondern aus Traumbildern aus einer anderen, unendlich weit entfernten Welt zu bestehen.
»Nein...«, flüsterte Xij und riss dabei die Augen weit auf. Äußeres Zeichen ihres letzten Aufbäumens, denn ihre Kräfte waren verbraucht. Sie war müde, nur noch müde. Wie schön wäre es, einfach den ständigen Forderungen Manil’buds nachzugeben, ihren unerträglich gewordenen Terror damit zu beenden. Sie würde ohnehin in einem anderen Körper wiedergeboren werden...
In einem anderen Körper? Bist du bescheuert, du Schlampe? Der Streiter zerstört alles und jeden. Es wird keinen Körper mehr geben, in den du wechseln kannst. Nicht einen einzigen...
Wieder dieses irre Lachen. Und die Todesimpulse.
Tu es, Schlampe, tu es. Bring dich selbst um. Mach ein Ende, bevor der Streiter das erledigt. Du hast es selbst in der Hand. Und ich habe gleichzeitig meine Rache und kann ebenfalls in Frieden gehen. So ist uns beiden geholfen...
Xij sank auf die Knie. Wie ein verhaltensgestörtes Tier schüttelte sie den nach vorne geneigten Kopf hin und her. Dabei presste sie ihre Hände gegen die Schläfen.
Lass... mich...
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