Ein reines Gewissen
IAN RANKIN
Ein reines Gewissen
Roman
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller
MANHATTAN
Verlagsgruppe Random House
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung März 2010
Freitag, 6. Februar 2009
1
Als Malcolm Fox den Raum betrat, empfing ihn kurzer Applaus.
»Brecht euch bloß keinen ab«, sagte er und legte seine abgewetzte Aktentasche auf den Schreibtisch gleich an der Tür. In dem Büro befanden sich zwei weitere Beamte der Inneren. Als Fox seinen Mantel auszog, wandten sie sich schon wieder ihrer Arbeit zu. Über Nacht waren in Edinburgh acht Zentimeter Schnee gefallen. Etwa genauso viel hatte vor einer Woche ausgereicht, um London lahmzulegen, aber Fox hatte es zur Arbeit geschafft, und die anderen, wie es aussah, auch. Die Welt draußen wirkte makellos rein. In seinem Garten hatte Fox Spuren entdeckt - er wusste, dass irgendwo in der Nähe seines Grundstücks eine Fuchsfamilie wohnte; nach hinten grenzten die Häuser an einen städtischen Golfplatz. »Foxy« nannten sie ihn im Polizeipräsidium, ein Spitzname, der seinem Selbstbild überhaupt nicht entsprach. »Ein Bär von einem Mann« - so hatte einer seiner früheren Vorgesetzten ihn beschrieben. Langsam, aber zuverlässig, und nur hin und wieder zum Fürchten.
Tony Kaye ging, einen prall gefüllten Ordner unter den Arm geklemmt, an dem Schreibtisch vorbei und brachte das Kunststück fertig, Fox auf die Schulter zu klopfen, ohne etwas fallen zu lassen.
»Trotzdem gut gemacht«, sagte er.
»Danke, Tony«, sagte Fox.
Das Hauptquartier der Lothian and Borders Police lag in der Fettes Avenue. Aus manchen Fenstern konnte man das Fettes College sehen. Einige Beamte der Inneren hatten Privatschulen besucht, aber keiner das Fettes. Fox selbst hatte das staatliche Schulwesen durchlaufen - Boroughmuir, dann Heriot Watt. Er war Anhänger des Hearts FC, schaffte es allerdings selbst zu den Heimspielen nur selten. Rugby interessierte ihn nicht, obwohl Edinburgh zu den Austragungsorten der Six Nations Championship gehörte. Februar war Six-Nations-Monat, was bedeutete, dass die Waliser an diesem Wochenende scharenweise als Drachen verkleidet und überdimensionale aufblasbare Lauchstangen schwenkend in die Stadt einfallen würden. Fox würde sich das Spiel vermutlich im Fernsehen anschauen, vielleicht würde er sich sogar dazu aufraffen, in den Pub zu gehen. Seit fünf Jahren trank er nun nichts mehr, hatte sich in den letzten zwei Jahren aber hin und wieder einen Besuch im Pub zugetraut. Allerdings nur in der richtigen Gemütsverfassung, nur wenn sein Wille stark genug gewesen war.
Er hängte seinen Mantel auf und beschloss, dass er auch das Jackett ablegen konnte. Manche der Kollegen im Polizeipräsidium hielten seine Hosenträger für Affektiertheit, aber er hatte fast sechs Kilo abgenommen, und Gürtel mochte er nicht. Die Hosenträger waren nicht besonders auffällig - dunkelblau auf unifarbenem, hellblauem Hemd. Seine Krawatte war heute dunkelrot. Er hängte das Jackett über die Rückenlehne seines Stuhls und strich es an den Schultern glatt, bevor er sich hinsetzte, die Verschlüsse seiner Aktentasche hochschob und die Unterlagen über Glen Heaton herausholte. Heaton war der Grund für die kurze Beifallsbekundung der internen Ermittler. Heaton war ein Ergebnis. Fox und sein Team hatten beinahe ein Jahr gebraucht, um das Material für ein Verfahren zusammenzutragen. Jetzt war ihr Fall von der Staatsanwaltschaft angenommen worden, und Heaton, den man bereits verwarnt und vernommen hatte, würde vor Gericht gestellt werden.
Glen Heaton - seit fünfzehn Jahren bei der Polizei, elf davon beim Criminal Investigation Department. Und während dieser elf Jahre hatte er die Vorschriften meistens zu seinem Vorteil ausgelegt. Aber er war zu weit gegangen, hatte nicht nur seinen Kumpels bei der Presse, sondern auch Kriminellen Informationen zugeschanzt. Und damit einmal mehr das Interesse der Inneren geweckt.
Complaints and Conduct hieß ihre Abteilung offiziell. Sie waren die Polizisten, die gegen andere Polizisten ermittelten. Die »Leisetreter«, die »Schleicherbrigade«. Innerhalb der Abteilung gab es eine Untereinheit - die Professional Standards Unit. Während Complaints and Conduct die bodenständigen Fälle bearbeitete - Beschwerden über Streifenwagen, die auf Behindertenparkplätzen standen, oder Polizisten in der
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