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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hatte er seine chinesische Mandarinenkleidung ab- und den Südkarolinafrack samt Halstuch mit Schmetterlingsschleife wieder angelegt. Seine eigene Kabine war während der Nacht ganz allerliebst für die Damen eingerichtet worden, und ebenso hatte er sehr ausgiebig dafür gesorgt, daß die männlichen Passagiere gute Plätze fanden.
    Seine Kommandostimme erscholl munter über das Deck. Die Anker wurden angezogen und die Segel gehißt. Getrieben von der Ebbe und einer guten Prise glitt der schlanke Klipper aus dem Hafen.
    Die Passagiere standen alle an Deck, die Blicke nach dem Land gerichtet, von welchem als sicher anzunehmen war, daß sie es nicht wiedersehen würden. Als es verschwinden wollte, nahm Turnerstick den Klemmer ab und sagte, indem er sich mit der Hand über die Augen fuhr: „Sonderbare Erde, und noch sonderbarere Menschen darauf! Können nicht einmal ihre Muttersprache richtig sprechen; haben nicht den mindesten Begriff von einer richtigen chinesischen Endung! Und doch tut es mir leid, daß ich Abschied nehmen muß. Vielleicht nur deshalb, weil wir den Dicken zurücklassen mußten.“
    „Dat wird es sein!“ stimmte der Gottfried bei. „Wäre meine Oboe mich nicht jar so lieb, so hätte ich sie ihm als Andenken an seinen Jottfried zurückjelassen. Auch mich tut das Scheiden weh; aberst es beseligt mir doch dabei der Jedanke, dat wir unser Kong-Kheou erfüllt haben. Darum weg mit die traurigen Jefühle! Habe ich dat China mit einem Tsching-tsching bejrüßt, so verabschiede ich mir jetzt von ihm mit einem Tsching-lao, wat soviel heißt als: ‚Adje, du Land der jeschlitzten Augen; du tust mich herzlich leid, denn dich jeht soeben dein schönster Jottfried für immer verloren!‘“

NEUNZEHNTES KAPITEL
    Wieder im Pfeffergäßchen
    Unbegreiflich, vollständig unbegreiflich! Die Herren Professoren und Dozenten standen da, schüttelten die Köpfe und brachten es doch zu keiner Erklärung der ungeheuerlichen Tatsache, daß heute auch nicht ein einziger Hörer erschienen war. So etwas war noch nie dagewesen. So etwas spottete sogar der Weisheit des sonst unwiderleglichen alten Ben Akiba!
    Und doch wäre die Erklärung so leicht gewesen, wenn man im ‚Geldbriefträger von Ninive‘ nachgefragt hätte. Die Sache hatte einfach folgenden Grund: Die Aufregung der akademischen Welt über das plötzliche Verschwinden des Methusalem hatte sich nach und nach gelegt. Man vermißte ihn zwar, aber man sprach nicht mehr davon. Da kamen aus China die Briefe an Frau Stein und Ye-kin-li, die Berichte über den glücklichen Verlauf des abenteuerlichen Unternehmens. Die Adressaten waren entzückt und brachen in ihrer Freude ihr bisheriges Schweigen. Nun erfuhr man, wohin der Blaurote sei und was er dort wolle. Hätte man es eher erfahren, so hätte man darüber gelacht; da aber die Aufklärung zugleich mit der Kunde des Gelingens kam, so war des staunenden Rühmens kein Ende, und man erwartete mit Spannung die Heimkehr des Helden. Man erachtete es für ganz selbstverständlich, daß ihm ein solenner Empfang bereitet werde.
    Das hatte der Methusalem geahnt und war, um dem vorzubeugen, mit seinen Gefährten dahin übereingekommen, daß sie ganz heimlich kommen und die Ihrigen überraschen wollten. Alle hatten zugestimmt, auch Gottfried von Bouillon; heimlich aber war dieser nicht mit dem Abkommen einverstanden, und so hatte denn heute früh der Telegraphenbote eine Depesche mit der Aufschrift ‚Geldbriefträger von Ninive‘ zur Besorgung anvertraut erhalten. Als der Wirt das Telegramm geöffnet hatte, las er:
    „Heute abend Zehnuhrzug Methusalem zurück, vier Herren, drei Chinesinnen, zwei Chinesen, ein Halbchinese und ein Hund.
    Gottfried von Bouillon.“
    Die Rückkehr seiner zwei besten Stammgäste versetzte den Wirt in eine so freudige Aufregung, daß er die Depesche sofort in Zirkulation gab, infolgedessen sich seine Aufregung mit außerordentlicher Schnelligkeit der ganzen akademischen Bürgerschaft mitteilte. An eine Vorlesung war nicht zu denken. Man kam in den ‚Kneipen‘ zusammen, um wichtigen Beschluß zu fassen, und bald waren sämtliche Seiler der Stadt emsig beschäftigt, aus sanftem Werg und zähem Pech festliche Fackeln zu bereiten.
    Der Methusalem ahnte nicht, welch eine Bewegung daheim um seinetwillen herrsche. Er hatte einen ganzen Waggon zweiter Klasse genommen, um sich und seine Gefährten bequem unterzubringen. Die Damen hatten ein abgesondertes Coupé erhalten. Die beiden Säcke mit den Barren,

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