32 - Der Blaurote Methusalem
Ich reite im Galopp hinauf und bringe Ihnen dann per Extrazug Bescheid.“
Er eilte davon, ins Haus hinein. Hund und Wichsier waren mit ihm stehengeblieben. Beide waren auf diesen plötzlichen Aufbruch ihres Herrn nicht gefaßt gewesen. Der Neufundländer sprang rasch zur Seite; der Wichsier aber war weniger geistesgegenwärtig. Der ‚Methusalem‘ hatte während der Unterredung den Pfeifenschlauch ergriffen und nun beim Forteilen die Spitze desselben wieder in den Mund gesteckt. Wäre der Wichsier sofort nachgesprungen, so hätte er das folgende Unglück vermieden, so aber zögerte er einen Augenblick, der Schlauch wurde angespannt und ihm dadurch die Wasserpfeife aus der Hand gerissen. Er wollte, um sie zu retten, nach ihr greifen, gab dadurch aber ihrem Fall eine solche Richtung, daß sie auf den Neufundländer flog und dann zur Erde stürzte, wo das Wasserbassin in Scherben zerbrach. Der Kopf hatte seinen glühenden Inhalt auf den Kopf des Hundes ergossen; der übrige Teil wurde von dem eilfertigen Studenten mit bis zur halben Treppe gerissen. Dann bemerkte der letztere, daß hinter ihm nicht alles in Ordnung sei. Er blieb stehen und drehte sich um.
Da sah er, daß er nur den Schlauch mit dem Fuß der Pfeife im Besitz hatte. Der Hund heulte laut, denn seine Kopfhaare begannen zu glimmen, und der Wichsier war über ihn weggestürzt und lag mit der Oboe an der Erde. Dabei stand der Chinese, schlug die Hände zusammen und rief erschrocken: „O Nieou-nieou-nieou! Chi-tchin! Chi-nieou!“
Das alles machte einen so drolligen Eindruck, daß der Student gar nicht an den Verlust der teuren Pfeife dachte, sondern lachend von der Treppe herabrief: „Aber, Gottfried von Bouillon, was hast du da angerichtet!“
Der Wichsier des ‚Methusalems‘ wurde nämlich aus später zu erwähnenden Gründen von sämtlichen Studenten ‚Gottfried von Bouillon‘ genannt. Er sprang von der Erde auf und antwortete mehr zornig als verlegen: „Wat ich anjerichtet hab'? Als wie ich? Da hört mir allens off, allens, und die Umdrehung der Erde dazu! Wer hat mich denn die wässerige Hukah aus der Hand jerissen und mir mit samt der Oboe parterre jebracht, so daß sogar der Pelz des Neufundländers in sechs Scheunenbrände jeraten ist? Da jeht man in aller Würde und Feierlichkeit von Jott Bachussen zu seine heimischen Penaten, und kaum ist man in das Ostium jetreten, so steht ein Mann des Zopfes da und schreit einen mit Nieou an! Wat hat des zu bedeuten?“
Diese zornige Frage war an den Chinesen gerichtet. An dessen Stelle antwortete der Student: „Nieou heißt zu deutsch Ochse. Dreimal hintereinander bedeutet es also dreifacher Wiederkäuer.“
„Schön! Und Chi-tschin?“
„Ein Tölpel, ein langsamer Sancho Pansa.“
„Noch schöner! Herr Ye-kin-li, Sie wollten sich soeben zur Polizei bejeben; det haben Sie nicht nötig, denn ich werde Ihnen hinführen lassen. Sie werden arretiert. Vorher aber will ich Sie zeigen, wie ein musikalisch approbierter Europäer auf solche Beleidigungen mit seinem Lieblingsinstrument antwortet!“
Er hob die Oboe vom Boden auf, fällte sie wie ein Gewehr und drang dann mit derselben auf den Chinesen ein. Dieser war keineswegs ein Held und hielt es für das beste, das Hasenpanier zu ergreifen. Er floh in seinen Laden und riegelte die Tür desselben hinter sich zu.
„So, da ist er mit jütiges Verschwinden hinter seine Kulissen retiriert“, lachte Gottfried von Bouillon. „Ich habe jesiegt, verzichte aber darauf, Viktoria schießen zu lassen, und werde mir lieber bemühen, diese Überreste einer seligen Vergangenheit einem glücklichen Verjessensein entjegenzuführen.“
Er suchte die Scherben zusammen. Sein Herr warf ihm den Wasserschlauch zu und ging nach oben, um bei seiner Wirtin einzutreten.
Diese bewohnte ein Stübchen, an welches ein kleines Schlafgemach stieß. Die andren Räume ihrer Wohnung hatte sie an den Studenten vermietet, um dadurch ihre dürftige Lage ein wenig zu verbessern. Sie war die Witwe eines Lehrers und bezog eine sehr kärgliche Pension, welche nicht einmal für Salz und Brot ausreichte. Darum mußte sie manche Nacht hindurch am Nähtischchen oder Stickrahmen sitzen, um die Not von sich und ihren drei Kindern fernzuhalten.
Erst von dem Tage an, an welchem der ‚Methusalem‘ zu ihr gezogen war, hatte ihre gedrückte Lage eine Änderung zum Besseren erfahren. Die vorherigen Mieter waren keine guten Zahler gewesen und hatten der braven Frau manche schwere Sorge
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