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321 - In 80 Welten durch den Tag

321 - In 80 Welten durch den Tag

Titel: 321 - In 80 Welten durch den Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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Holo-Erde aufbaute, drehte er sie und zoomte Nordamerika heran. Er wählte einen der dort leuchtenden Punkte aus und übertrug die Daten auf den Transferluminator .
    Nur Sekunden später baute sich der strahlende Transportring um ihn auf. Das Kraftfeld mit den drei Gefangenen dockte an, sodass er sie in den Transfer mitnehmen konnte.
    Als die Lichtmauer erlosch, war auch die Suite im Burj Khalifa verschwunden. Stattdessen stand er vor einer Felswand am Grund des Grand Canyon.
    Der Energiekäfig mit Matt, Xij und Grao schwebte auf Armlänge neben Tom. Sie sahen sich um, wollten offenbar herausfinden, wohin Tom sie gebracht hatte.
    Wie er an Drax’ Gesichtsausdruck bemerkte, erkannte der die gigantische Schlucht. Und das, obwohl auch sie perspektivisch verzerrt war. Die Felswände schienen sich herabzubeugen. Wenn man sich diesem Anblick zu lange aussetzte, spielte der Gleichgewichtssinn verrückt. Meist rebellierte auch der Magen. Deshalb wollte Tom keine Sekunde länger als nötig hier bleiben.
    Der Ort war ohnehin nicht entscheidend. Er stellte nur eine Zwischenstation auf ihrem Weg dar.
    Der Archäologe ging auf die Felswand zu. Da der Kraftkäfig mit dem Luminator gekoppelt war, folgte er von selbst.
    Als er sich seinem Ziel auf fünf oder sechs Schritte genähert hatte, entstand im Stein eine wabernde Fläche wie aufrechtstehende Flüssigkeit. Sofort setzte ein kleiner Sog ein, wie er seit der Großen Explosion normal war. Glücklicherweise besaß er nicht die Stärke eines entarteten Tors.
    Noch einmal atmete Tom tief durch. Sein Magen krampfte sich zusammen, doch diesmal lag es nicht an der sinnverwirrenden Verzerrung des Grand Canyon.
    Diesmal lag es daran, dass er im Begriff war, zu einem Ort aufzubrechen, den er erst ein einziges Mal besucht hatte. Und nach dem er keinerlei Sehnsucht hegte.
    IV.
    Tom Ericson stand vor der wurmstichigen Tür des Gotteshauses und überlegte, ob er es betreten sollte.
    Er – ein Mann der Wissenschaft – war nie besonders religiös gewesen. Zumindest damals nicht, als der Komet die Erde getroffen hatte. Doch das lag über fünfhundert Jahre zurück. Eine Zeit, in der sich viel ändern konnte. Auch die eigene Einstellung zu Fragen des Glaubens.
    Schneeflocken trudelten herab und landeten auf seiner Jacke. Die ersten in diesem Jahr. Passend zum Tag, denn es war Heiligabend. Der 24. Dezember 2521.
    Tom war sich nicht sicher, ob sich irgendjemand in diesem namenlosen Kaff im Osten Amerikas dieser Tatsache bewusst war. Er hingegen achtete auf solche Dinge. Er hatte noch kein Weihnachtsfest verpasst, auch wenn er der Einzige gewesen war, der es feierte.
    Er drückte die Tür auf und betrat die Kirche.
    Der Geruch nach feuchtem Holz schlug ihm entgegen. Das Innere des Gotteshauses wirkte noch verfallener als der Rest des Dorfes. Von den Sitzbänken sah nur noch eine so aus, als würde sie nicht zusammenbrechen, wenn man sich darauf niederließ.
    An einem schlichten Tisch, der wohl eine Art Altar darstellen sollte, stand ein Mann mit gefalteten Händen und gesenktem Blick. Er wandte Tom den Rücken zu und hatte sein Eintreten offenbar nicht bemerkt.
    Wenigstens einer, der sich der Bedeutung des Tages bewusst ist! , dachte Tom.
    Als er sich dem Mann näherte, stellte er fest, dass der erste Eindruck getäuscht hatte. Der Kerl hatte nicht etwa gebetet – sondern gepinkelt! Gerade packte er das dafür nötige Werkzeug zurück in die Hose. Er hob den Blick, strahlte Tom an und entblößte eine beachtliche Anzahl von Zahnlücken.
    »Hey«, sagte er. »Ich kenn dich ganich! Biste neu in unsern Dorf?« Er streckte Tom die Hand entgegen. »Matti Fyste!«
    Tom rang sich ein Lächeln ab. »Thomas Ericson, angenehm.« Eingedenk der Tatsache, was sie gerade umfasst hatte, ergriff er die dargebotene Hand lieber nicht.
    »Hab nämlich heut Geburtstag«, erklärte der Mann.
    »Aha.« Tom hatte keine Ahnung, was Fyste ihm damit sagen wollte.
    »Zweiundvierzig werd ich.« Ein Stirnrunzeln. »Oder vierundzwanzig? Isja auch egal.«
    Tom nickte und lächelte, obwohl es ihm schwerfiel. Er wandte sich dem schlichten Holzkreuz hinter dem Tisch zu.
    Was war nur aus dieser Welt geworden? Leute, die in Kirchen pinkelten, mutierte Tiere, eine Gesellschaft, die diese Bezeichnung nicht mehr verdiente.
    Wie so oft in den letzten Jahrhunderten trieben seine Gedanken zurück in eine Zeit, als er noch keine unverwelkbare Pflanze in einem Mistbeet gewesen war. Er dachte an die Wochen, bevor »Christopher-Floyd« die

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