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322 - Götterdämmerung

322 - Götterdämmerung

Titel: 322 - Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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heftiger Schneesturm zusammenbraute, der den Aufbruch zum Feuertor noch für lange Zeit verhindern sollte.
    Genauso wenig, wie jemand die alte Seherin bemerkte, die sich mit ihrem Fjelfress durch die Torflügel der Halle nach draußen stahl. Niemand außer Hamskarpur.
    ***
    Im Morgengrauen des nächsten Tages schlüpfte Widda aus der Tür ihrer nächtlichen Unterkunft. Klirrende Kälte und dichtes Schneegestöber schlugen ihr entgegen. Fluchend klappte sie den Kragen ihres Fellumhangs hoch und zog die Pelzmütze tiefer in die Stirn. Sie hatte die Nacht im Haus von Efsturs Nebenfrauen verbracht, vor dem Herdfeuer in der Küche. Kein Auge hatte sie zugemacht und die ganze Zeit darüber gegrübelt, wie sie dem Wikingerführer die Schmach, die er über sie gebracht hatte, heimzahlen konnte. Und bevor das erste Dämmerlicht durch die Ritzen der Hauswände kroch, hatte sie einen Plan gefasst.
    So stapfte sie nun mit forschem Schritt zu den Stallungen, gefolgt von ihrem Bergkater, der sich zwischen übermütigen Sprüngen immer wieder maunzend im Schnee wälzte. Bei den Stallungen angekommen, zog die Alte ihren Schlitten aus einem der Unterstände und rief nach ihren Rentieren. Während sie noch dabei war, die Tiere vor das Kufengefährt zu spannen, schreckte sie das plötzliche Fauchen ihre Fjelfress auf. Ein Blick auf das gesträubte Nackenhaar des Tieres verriet ihr, dass sich jemand heimlich näherte. Wer war so früh auf den Beinen? Die Krieger Efsturs schliefen alle noch ihren Rausch aus. Einer dieser verfluchten Fremden?
    Blitzschnell riss Widda ihren Stock aus dem Gürtel und wandte sich um. »Du?« Überrascht ließ sie ihren Stock sinken, als sie den Erstgeborenen des Häuptlings in ihrem Rücken entdeckte. »Was schleichst du dich an wie ein Dieb? Was willst du von mir?«
    Ohne den Bergkater aus den Augen zu lassen, kam Hamskarpur zögernd näher. »Ich will wissen, ob du dich geirrt hast, was die Fremden angeht.«
    Widda kniff die Augen zusammen. War es nicht genug, dass sein Vater sie vor allen Leuten gedemütigt hatte? Musste dieser Jungspund nun auch noch seinen Spott mit ihr treiben? »Ich irre mich nie«, schnaubte sie. »Niemals!« Dann kehrte sie dem Krieger den Rücken und befestigte das Geschirr der Zugtiere am Schlitten. Als sie sich umdrehte, um in das Gefährt zu steigen, stand Hamskarpur immer noch da. Sein vernarbtes Gesicht wirkte bleich und ein harter Zug lag um seinen Mund.
    »Ich glaube, dass Gauti und die Fremden meinen Vater und die anderen narren. Wenn es der Ratschluss der Götter ist, sie zu töten, werde ich es tun.«
    Gleichermaßen überrascht und erfreut, einen Verbündeten in Hamskarpur gefunden zu haben, trat die Seherin dicht an ihn heran. »Lass dich segnen, mein Sohn«, raunte sie mit sanfter Stimme. Während der junge Krieger sich zu ihr herabbeugte und sie mit dem Finger eine Schutzrune auf seine Stirn zeichnete, hoffte sie, dass er bald die Nachfolge seines Vaters antreten möge. »Was auch geschieht, misch dich nicht ein! Behalte nur die Fremden im Auge. Sie dürfen das Dorf nicht verlassen. So lautet der Ratschluss der Götter.«
    Damit verabschiedete sie sich, kletterte zwischen die Felle ihres Schlittensitzes und gab ihren Rentieren die Peitsche. Gefolgt von dem Bergkater verließ sie das Dorf.
    Sie hatte Jotunheimen schon weit hinter sich gelassen, als ihr Blick auf die dunklen Wolken fiel, die sich im Norden über den Berggipfeln türmten. Sie kündigten einen Schneesturm an. Die Aussicht, dass das Wetter den Aufbruch der Fremden zum Feuertor herauszögern würde, und Hamskarpurs Treuebezeugung versöhnte sie für eine Weile.
    Doch dann fielen ihr wieder Efsturs Worte ein: »Sie ist alt. Sie hat sich geirrt.« Wie Angelhaken hingen sie in ihrem Fleisch. Nie wieder würde einer der Jotunheimener sie als Seherin ernst nehmen. Ihr Ruf war ruiniert. »Das wirst du mir büßen!«, schrie sie. »Verflucht sollst du sein!« Außer sich vor Zorn drosch sie auf die Zugtiere ein. Der Fjelfress wich fauchend den Peitschenhieben seiner tobenden Herrin aus und vergrößerte den Abstand zwischen sich und dem Gefährt.
    Stunde um Stunde jagte der Schlitten durch das Schneegestöber. Doch erst als seine Kufen knirschend über das vereiste Moorgebiet glitten, war Widdas Zorn verraucht. Die Aussicht, bald am Ziel zu sein und den nächsten Verbündeten für ihren Rachefeldzug zu gewinnen, stimmte sie fast heiter.
    »Ich wäre nicht Widda, wenn ich das Blatt nicht wenden könnte«, brummte

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