322 - Götterdämmerung
wünschen übrig.« Er befahl den Wachen, die Gefangenen von ihren Fesseln zu befreien. Dann wies er Dimmbrá und Frega an, den Schachtisch in Thronnähe zu rücken und mit Speisen und Getränken einzudecken.
Die Wikinger in der Halle verfolgten mit argwöhnischen Blicken, wie die Anweisungen ihres Anführers erfüllt wurden. Noch zweifelten sie an den Handlungen von Efstur und seinem Berater. Was, wenn es nun doch Dämonen waren? Gegen Zauberei halfen weder Schwert, noch Axt. Manch einer der tapferen Wikinger wünschte sich die alte Widda herbei. Und nur der Anblick der Krieger, die sich mit Blasrohren rechts und links des Podestes bereithielten, vermochte sie zu beruhigen.
Inzwischen hatte sich der Häuptling wieder auf seinen Thron niedergelassen. Mit einer großzügigen Geste wies er die Gefangenen an, am Tisch auf der Erhöhung Platz zu nehmen. Dann erteilte er dem Götländer das Wort. »Frag sie, woher sie kommen, und vor allem, wer sie sind!«
Gauti nahm sich einen Stuhl, setzte sich zu den Fremden und deutete eine leichte Verneigung an. »Man nennt mich Gauti. Ich bin ein Gelehrter und stamme ursprünglich aus dem fernen Land der Angelsachsen. Vor mehr als dreißig Wintern begleitete ich die normannischen Eroberer über das Meer nach Götland, um dort ihre Sitten und Sprache zu studieren. Doch schon nach wenigen Jahren verschlug es mich hierher, nach Jotunheimen zu den Wächtern der Berge. Diese Menschen hier sind mir gleichermaßen Freunde und Familie.«
Der Blonde vor ihm stutzte, bevor er antwortete. Und die Zunge, in der er nun antwortete, verblüffte Gauti noch mehr, denn es war seine Muttersprache! Nun ja, zumindest in weiten Teilen.
»Dann begrüße ich dich in deiner Sprache, die auch die meine ist«, sagte der Blonde. »Wir beide«, er nickte zu seiner Begleiterin hinüber, die in ihrem dicken Fell wieder wie in Knabe aussah, »kommen aus einem Land, in dem vorwiegend angelsächsisch gesprochen wird. Wir sind Entdecker, die auf... nun, auf ungewöhnlichen Pfaden reisen.«
Der Götländer hatte seine Überraschung überwunden. »Dann trügt mich also mein Eindruck nicht, dass euer Besuch in diesem abgelegenen Teil der Erde friedlicher Natur ist?« Abwartend blickte er in die Gesichter der Fremden, und so entging ihm nicht der erleichterte Ausdruck darin.
Der Blonde neigte seinen Kopf in Gautis Richtung. »Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen«, sagte er. »Im Gegensatz zu deinen Freunden, die uns gefangen, betäubt und bestohlen haben. Doch wir sind bereit, ihnen zu verzeihen, wenn sie uns zurückgeben, was unser ist. Wir wollen den Wolf und das... Schmuckstück, das euer Anführer an sich genommen hat.« Bei seinen letzten Worten deutete er auf Efsturs Brust. »Dann verschwinden wir von hier und nehmen auch die Bestie mit. Ganz friedlich .«
»Mmh«, brummte der Götländer und strich sich nachdenklich durch den Bart. Das lief nicht gut. Sein Gegenüber war nicht dumm; er musste doch wissen, dass er in seiner jetzigen Situation keine Ansprüche stellen konnte. Ahnte er denn nicht, wie ernst die Situation für ihn und seine Gefährtin war? Es wurde Zeit, die beiden in Kenntnis zu setzen.
Während er noch überlegte, wie er die Umstände schnell und deutlich in Worte fassen konnte, rief Efstur nach ihm. »Was redet ihr da? Was sagt der Blondschopf? Und warum hat er mit dem Finger auf mich gezeigt?«
Gauti suchte nach Worten. Die Forderung des Fremden konnte er unmöglich übermitteln. »Er sagt, er habe schon viel über die Jotunheimener und ihren Anführer gehört. Doch der Empfang, der ihm hier bereitet wurde, hat sein Missfallen erregt.«
»So, so, sein Missfallen...« Ungeduldig schlug der Wikingerführer mit der flachen Hand auf die Lehne seines Throns. »Frag ihn lieber, warum sie sich in Begleitung der Midgardschlange befanden, als sie hier aus dem Nichts erschienen sind, und wie sie zum Götterwolf Fenrir stehen!«
Gauti bemühte sich, den Ärger des Häuptlings zu dämpfen. »Wir sind noch nicht so weit, Efstur«, sagte er eindringlich. »Ich habe dir doch gesagt, sie sind speziell. Also lass mir mehr Zeit!«
Der Häuptling nickte nach kurzem Überlegen. »Gut«, brummte er. »Aber fasse dich kurz! Und das ist mein letztes Wort.«
»Was ist los? Will er uns unser Eigentum nicht zurückgeben?«, wollte nun der Blonde von Gauti wissen.
»Nein... ich habe ihm euer Anliegen noch nicht vorgetragen.«
Zweifelnd schaute ihn der Fremde an. Dann wechselte er vielsagende Blicke
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