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322 - Götterdämmerung

322 - Götterdämmerung

Titel: 322 - Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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als sein Blick einmal durch den Zelteingang auf die schwarzen Wolkentürme fiel, die über die Berggipfel jagten, musste er einsehen, dass sie auch ohne die Wilden heute keine Chance hatten, zum Zeitportal zu kommen.
    Also gut, würde er eben einen Tag länger den göttlichen Lupa mimen, eingesperrt in diesen verfluchten Käfig, dessen Stäbe er so leicht hätte auseinanderbiegen können.
    Wieder bewegten sich die Tierhäute vor dem Eingang und das Kind kam herein, so wie fast jede Stunde. Es war wie ein Ritual.
    Der Daa’mure hatte den kleinen Jungen öfters an der Seite des Götländers gesehen; anscheinend gehörte er zu dessen Familie. Unter seinem Lockenkopf stierte er Grao aus großen hellblauen Augen an. Der Gestaltwandler senkte seinen Schädel und fletschte knurrend die Zähne.
    Anstatt ängstlich davonzulaufen, warf der Kleine ihm einen strengen Blick zu. Dann näherte er sich dem Käfig, blieb stehen, stemmte seine Ärmchen in die Seite und schimpfte in der für Grao unverständlichen Sprache auf ihn ein. Der kleine Mensch imponierte ihm. Offensichtlich hatte er keinen Respekt vor Göttern und Dämonen.
    Während das Lockenköpfchen ihm schließlich den Rücken kehrte und das Zelt verließ, trat ein anderer ein, der den sonst emotionslosen Daa’muren allmählich zur Weißglut brachte: Glymjandi! Der Kleinwüchsige, der den Gefährten den Aufenthalt bei diesen Wilden überhaupt erst eingebrockt hatte; bei der ersten Begegnung hatte Grao ihn noch für ein Kind gehalten.
    Seit er aus seinem Dämmerzustand erwacht war, erschien Glymjandi tagtäglich zur gleichen Stunde. Einen Sitzschemel unter den Arm geklemmt, trottete er näher. Der viel zu große Mantel hing wie ein Lumpen an ihm und reichte bis zu den Stiefelabsätzen. Unter der ebenso zu großen Kappe kräuselten sich ein paar Stirnlocken hervor. Die beiden Gesichtshälften saßen schief in dem unförmigen Schädel, und im Blick der großen runden Augen schien kein Funken Verstand zu sein.
    Beim Käfig angekommen, platzierte Glymjandi nun geschäftig seinen Hocker vor Grao, zupfte hier und zupfte da an seinem Lumpenmantel herum, bis er sich schließlich mit einem Plumps auf seinem Sitz niederließ. Dann kramte er ein Säckchen aus der Manteltasche. Mit seinen kleinen dicken Fingern rupfte er an der Öffnung, griff hinein und förderte murmelgroße Nüsse mit rotbrauner Schale zu Tage. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, während er sich eine nach der anderen in den Mund schob. Knackend und knirschend begann er sie zu zermalmen. Dabei heftete er seinen Blick auf den Gestaltwandler.
    Grao in seiner Wolfsgestalt legte die Ohren an. Da war es wieder, dieses Glotzen! Nicht neugierig. Nicht aufmerksam. Nicht nachdenklich. Der Zwerg glotzte einfach nur. Und das würde nun Stunden so gehen. Irgendwann würde der Wicht seinem Glotzen dann einen jammernden Singsang hinzufügen. Immer die gleichen Worte. So eindringlich, dass Grao sie schon auswendig konnte, obwohl er sie gar nicht verstand.
    Doch noch blieb Grao verschont davon. Noch malmte der Kleinwüchsige Nüsse. Einigermaßen verzweifelt hoffte der Daa’mure auf jemanden, der ihn von diesem Zwerg erlösen könnte. Vergeblich.
    Weder kamen Xij oder Mefju’drex, um die Glymjandi stets einen großen Bogen machte, noch diese rothaarige Primärrassenvertreterin, die oft um Gautis Haus herumschlich, um Mefju’drex schöne Augen zu machen. Konnten diese Primärrassenvertreter denn nie dann zur Stelle sein, wenn man sie brauchte? Resigniert wandte Grao sich wieder dem Kleinwüchsigen zu. Ungerührt glotzend stopfte dieser sich eine neue Ladung Nüsse in den Mund.
    »In meiner Heimat Daa’mur hätte man dich längst im Lavameer ertränkt«, knurrte Grao laut und vernehmlich. Zu seiner Überraschung glotzte Glymjandi nun nicht mehr. Anscheinend zu Tode erschreckt fiel er rücklings vom Hocker. Sein Nusssäckchen flog im hohen Bogen durch die Luft und der Inhalt verteilte sich über den Boden.
    Zufrieden ließ sich Grao nieder und beobachtete, wie Glymjandi die Nüsse aufklaubte und jammernd abzog. Wieder einmal staunte Grao’sil’aana über die Dummheit der Primärrassenvertreter. Einerseits hielten sie ihn für einen Götterwolf, andererseits konnten sie nicht fassen, wenn er menschliche Laute von sich gab.
    ***
    Matt Drax und der Götländer zogen sich in dessen Haus zurück, gefolgt von dem kleinen Jungen. Es war eine karg eingerichtete Unterkunft mit einer Wohnküche und zwei Schlafkammern. Eine davon

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