323 - Die Hölle auf Erden
auch noch grottenschlecht!«
8.
Mahós Mutter trat leise ins Zimmer ihrer Tochter. Da wähnte sie das Mädchen noch in seinem Bett. Doch im Zwielicht der zugezogenen Vorhänge, die sich in einer sanften Brise wölbten, erkannte sie rasch ihren Irrtum: Die Bettstatt war verlassen.
Egal, wie oft es passiert, Mahós Mutter würde sich nie daran gewöhnen. Jedes Mal, wenn ihre Tochter sich davonstahl, war es, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Zitternd setzte sie sich auf das verlassene Bett und strich mit der Hand über die Fläche, wo Mahós Gewicht eine kleine Mulde in der Matratze hinterlassen hatte. Das Laken war noch warm. Lange konnte Mahó nicht fort sein.
Normalerweise wäre ihre Mutter jetzt schluchzend zu ihrem Mann gelaufen. Doch der würde wieder nur abwiegeln, wie jedes Mal. Deshalb blieb die besorgte Frau, wo sie war – und legte sich dorthin, wo ihre Tochter hätte liegen sollen. Die Augen geschlossen, tastete sie nach der dünnen Zudecke und zog sie über sich.
So fand ihr Mann sie. »Was ist denn in dich gefahren?«
Sie antwortete nicht, blieb einfach liegen. In Momenten wie diesen wünschte sie sich, so zu sein wie Mahó. Nichts an sich heranlassen zu müssen, was sie nicht wollte. Herrin zu sein über eine Welt, in der es nur Menschen gab, denen sie dazu Zutritt gewährte.
Ihr Mann, dessen war sie sich sicher, hätte nicht dazugehört...
***
Was habe ich nur getan?
Der Tempel, in dem sich Kaito stets wohlgefühlt hatte, strahlte keinerlei Geborgenheit mehr aus, seit...
… seit meinem Verrat!
Er würde nie den Blick vergessen, mit dem Shi Kao ihn gemustert hatte, als er von den Soldaten abgeführt worden war.
Und genauso wenig würde er Yuutos hitzige Worte vergessen, mit denen der Bruder ihm auf den Kopf zugesagt hatte, dass er wusste, was er getan hatte. Yuuto hatte sein nächtliches Verschwinden ebenso bemerkt wie seine Rückkehr in Begleitung der Soldaten.
Kaito hatte alles abgestritten, sich abgewandt und in seine Kammer zurückgezogen. Doch lange hatte er es dort in der Stille nicht ausgehalten. Deshalb war er wie ein Dieb aus dem Tempel geschlichen und trieb sich seither im Freien herum.
Ich habe es doch nur für dich getan, kleine Schwester , dachte er. Aber niemand hätte es verstanden, nicht einmal Mahó selbst. Nicht, solange sie in ihrer eigenen Welt lebte.
Stunde um Stunde strich Kaito durch die Umgebung des Tempels. Manchmal setzte er sich irgendwo auf einen Baumstumpf oder einen großen Stein und stützte den Kopf auf die Hände. Er war voller Scham und überschüttete sich mit Selbstvorwürfen.
Wie hatte er dem Armeekommandeur nur vertrauen können? Wie hatte er nur annehmen können, ein despotischer Gewaltmensch wie Tadamichi Ariaga halte sich an seine Zusagen?
Ach, Mahó! Ich war ein solcher Narr – und Shi Kao muss es nun büßen.
Dass sie das greise Oberhaupt des Tempels wie einen gemeinen Verbrecher in Ketten gelegt und verschleppt hatten, konnte sich Kaito nicht verzeihen. Und weil der Kommandeur damit gegen sein Versprechen verstoßen hatte, wagte Kaito auch nicht mehr zu hoffen, dass er sein anderes einhalten würde. Alles war umsonst. Umsonst, Mahó. Ich habe alles kaputt gemacht.
Was sie Shi Kao wohl inzwischen alles angetan hatten? Und der Fremde – was würden sie mit ihm anstellen? Wenn er wirklich ein feindlicher Spion ist, wird er seine verdiente Strafe bekommen.
Wenn...
Mit immer größeren Zweifeln behaftet, hielt Kaito irgendwann inne und spitzte die Ohren.
Da war ein Geräusch, als würde Stein auf Stein prallen.
Er sah sich um und erkannte verblüfft, dass er sich unweit des Geröllfelds befand. Vorsichtig näherte er sich dem Rand des Wäldchens und ging hinter einem der letzten Bäume, die das Lawinenfeld säumten, in Deckung.
Verblüfft sah er zwei Gestalten, die damit beschäftigt waren, inmitten des abgerutschten Bereichs Steine abzutragen. Sie schienen schon längere Zeit damit beschäftigt zu sein, denn sie legten immer wieder Pausen ein.
Für Kaito waren zwei Dinge auf Anhieb klar: Bei den Gestalten handelte es sich um Fremde, keine Ortsansässigen – und diese Fremden versuchten ganz offenkundig, an etwas heranzukommen, das unter den Steinen verschüttet worden war!
Es brauchte nur Sekunden, um Kaito zu der Überzeugung zu bringen, dass die Fremden zu dem mysteriösen Wesen gehörten, das Yuuto und er in den Tempel gebracht hatten.
Gleichzeitig erkannte er die Chance, die sich ihm bot. Dass er seine
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