324 - Eine neue Chance
gegen den fremden Einfluss wehrte. Die Hydree nahm ihre Anwesenheit wahr und versuchte, sich vor ihr zu schützen.
»Gib endlich auf«, blaffte Manil’bud. Offenbar dachte sie, die alternative Xij würde sich zur Wehr setzen. »Nur deinetwegen ging Gilam’esh in die Zeitblase und fort von mir!«
Auch wenn sie nicht von Manil’bud beeinflusst wurde, schmerzten Xij die Vorwürfe. Zumal sie stimmten: Es war letztlich ihre Schuld, dass Gilam’esh nicht mit ihr zusammen in die fremde Epoche gegangen war, in das unbekannte Meer.
Ich weiß nicht einmal, was aus ihm und Quart’ol geworden ist, dachte sie. Ob sie in der Parallelwelt überlebt haben.
***
Indischer Ozean, dreißig Jahre vor Ei’dons Krönung
Gilam’esh hielt erschöpft inne. Er reduzierte die Geschwindigkeit der Transportqualle, ließ das bionetische Gefährt im Wasser treiben und starrte auf die bisherigen Messergebnisse. Nichts. Auch am dritten Tag seiner Suche gab es keinen Hinweis auf eine Zeitblase in diesem Bereich des Ozeans.
Ich sollte endlich aufgeben , dachte er bitter. So viele Jahrhunderte sind vergangen, was hänge ich da noch an einer Zukunft, die vom Streiter zunichtegemacht wird?
Wenn er ehrlich war, wusste er nicht einmal, ob er das Zeitportal benutzen würde, wenn er denn eines fände. Was würde ihn auf der anderen Seite erwarten? Eine verwüstete, ausgeblutete Welt? Verdampfte Meere? Oder würde er an einen ganz anderen Ort in eine noch weiter entfernte Zeit geworfen werden? Jede Zeitblase war wie ein Kuschee, ein Glücksspiel der Mar’osianer, bei dem das Gift des Kugelfischs zum Einsatz kam. Man konnte alles gewinnen oder das Leben verlieren. Zumeist wurde um Beute und Gefangene gespielt.
Gilam’esh presste die Quastenlippen zusammen und machte sich auf den Rückweg. Er hatte einen langen Zyklus [2] hinter sich. Am liebsten wollte er nur noch in seiner Hummerschale in Isch’tan’lot ausruhen.
Die kleine Hydritenenklave war ein freundlicher Ort, überschaubar. Die Stadt gehörte zu den ganz wenigen, die sich noch des Vermächtnisses der Vorfahren erinnerten und nicht wie viele andere in eine unterentwickelte Kultur mit Höhlen und Felsgrotten zurückgefallen war. Gilam’esh wurde allseits respektiert und hatte einen Platz als Lehrer der Junghydriten gefunden.
Noch immer hielt er sich an sein Vorhaben, nicht wesentlich in die Geschicke von Hydriten und Menschen einzugreifen. Er beschränkte sich darauf, unauffällig zu bleiben. Es fiel ihm oftmals sehr schwer. Besonders wenn er die Hydriten mit dem einzelnen blassen Streifen in der Mitte des Scheitelkamms in eine Stadt kommen sah. Der Unterschied war kaum wahrzunehmen für ungeübte Beobachter, doch Gilam’esh wusste, worauf er zu achten hatte.
Einen Augenblick wurde sein Blick unfokussiert. Er sah die Grotte der Weisheit vor sich, eine geheime Stätte des Gilam’esh-Bundes. Dort war er eingedrungen, hatte sich als einer der ihren zu erkennen gegeben, ohne seinen Namen zu nennen. Damals, vor gut achthundert Jahren, war er noch motiviert gewesen, den Streiter aufzuhalten. Er hatte überleben wollen, ohne Junghydriten zu töten, indem er als Geistwanderer ihre Körper übernahm. Also hatte er den Gilam’esh-Bund ausspioniert, um herauszufinden, ob von seiner Seite Hilfe zu erwarten war.
Wieder sah er Kar’tor vor sich, die vor über achthundert Jahren Oberste des Bundes war und ihn noch immer führte. Wie arrogant sie gewesen war – und wie schön. Gilam’esh hatte herausgefunden, dass es auch in dieser Zeit Quan’rill gab. Nicht so viele wie nach der für alle Hydriten bekannten Wiederentdeckung der Geistwanderung durch Quan’rill, die von seinem Zeitpunkt aus noch in weiter Ferne lag. Aber genug, um aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen.
Der Gilam’esh-Bund sorgt allseits für Vergessen , dachte Gilam’esh bitter. Es ärgerte ihn maßlos, dass diese arroganten Geist-Unsterblichen nichts Besseres mit ihrer Gabe im Sinn hatten, als Macht an sich zu reißen und Unwissenheit zu fördern. Wo immer Konfliktpotenzial war, schürte der Bund es. Gab es irgendwo nur eine kleine politische Erschütterung und Kar’tor erfuhr es, konnte Gilam’esh sicher sein, dass daraus durch den Bund ein Seebeben wurde.
Sie waren neben den Mar’osianern die eigentlichen Kriegstreiber, hielten das eigene Volk im Dunkeln, damit sie in Saus und Braus in den Verborgenen Städten leben konnten. Hierfür tauschten sie einfache Waffen und Medizin aus ihren Forschungen. Schon lange
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