324 - Eine neue Chance
würde bald einsatzbereit sein. Scheiterte die Mission trotzdem – weil er weder den zweiten Schuss auslösen, noch auf die Ladestandsanzeige aufmerksam machen konnte? Das Ziel, das so klar und deutlich vor ihm lag, rückte plötzlich in unerreichbare Ferne.
Grao’sil’aana trat zu ihm. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im Flächenräumer zeigte der Daa’mure Zeichen der Erregung. Er schlug mit seiner Schuppenhand auf die Bedienelemente, doch auch seine Versuche gingen ins Leere.
»Es muss gehen«, brachte Matt heiser hervor. »Irgendwie!« Er durfte nicht aufgeben.
Matt sah zu Takeo. Der Android stand noch immer starr im Raum wie eine Statue. »Alles oder nichts.« Er machte einen großen Schritt und drang in Miki Takeo ein.
Es fühlte sich kalt an. Sein gesamter Körper stand in Takeos größerer Masse, sein Kopf erreichte gerade dessen Brust. Doch Takeo regte sich nicht. Er nimmt mich nicht wahr, erkannte Matt entsetzt. Es war alles umsonst. Wir sind durch die Geschichte mehrerer Welten gegangen, haben das Magtron errungen und stehen nun vor dem Nichts, weil wir wie Schatten in einer falschen Zeit sind.
Die Zeit ließ sich nicht betrügen. Sie hatte die störenden Elemente einfach ausgeblendet.
Matt stieß einen Wutschrei aus. Die Enttäuschung raubte ihm jede Kraft. Er trat aus Takeo heraus und stützte sich schwer auf seine Oberschenkel. Was tun? Wie konnte er das Unmögliche möglich machen? Er musste es schaffen, den Schuss abzugeben!
Hilfloser Zorn stieg neben der Verzweiflung auf, als er auf den Bildschirmrand vor sich sah. Dort kletterte der Anzeigenstand der Energiewaben gut sichtbar nach oben auf siebzig Prozent. Takeo brauchte nur den Kopf zu drehen, einen Blick auf die Zieloptik werfen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Doch er tat nichts dergleichen. Vielleicht hatte er die Welt schon abgeschrieben.
Ich gebe nicht auf. Matt richtete sich auf. Es muss gehen. Takeo muss nur auf die Anzeigen schauen, dann haben wir gewonnen.
Matt presste die Zähne zusammen und tauschte einen Blick mit Grao’sil’aana. Dann trat er vor und tauchte erneut in Miki Takeo ein.
***
Xij beobachtete das auf dem Vorsprung ruhende Superior Magtron. Das chromfarbene X lag wie eine geheimnisvolle Rune auf dem leicht nachgiebigen bionetischen Material.
Gebo , dachte Xij an den Namen der Rune. In einem ihrer früheren Leben hatte sie die Kultur der Germanen aus der Sicht einer Sklavin kennengelernt. X bedeutete Gebo, die Gabe, und stand dafür, selbst für seinen Weg verantwortlich zu sein. Außerdem kennzeichnete die Rune die Verbindung des Götterpaares Odin und Frigg, von Mann und Frau.
Xij warf einen unbehaglichen Blick ins Innere der Anlage. Bald würde ihr anderes Ich, von Manil’bud beeinflusst, Grao auf Matt loslassen, den einzigen Mann, dem sie sich wirklich verbunden fühlte und den sie liebte.
Eigentlich war Manil’bud nicht böse. Vor über dreieinhalb Milliarden Jahren hatte sie auf Rotgrund gelebt, dem Mars. Zusammen mit ihrem Geliebten Gilam’esh. Dann jedoch nahte der Untergang des Roten Planeten und die Hydree mussten vor einer globalen Austrocknung fliehen.
Gilam’esh hatte den Zeitstrahl entwickelt, der den größten Teil seines Volkes in die Zukunft der Erde transportiert hatte, über 89.000 Jahre vor Christi Geburt. Doch Manil’bud war durch einen Unfall zu früh in den Strahl geraten und Millionen Jahre vor den anderen Hydree auf Ork’huz , wie sie den blauen Planeten nannten, angekommen. In wilden Kreaturen hatte sie überlebt, und nur die Aussicht, Gilam’esh irgendwann wiederzufinden, hatte ihren Geist davor bewahrt, zu dem einer Bestie zu degenerieren.
Doch als sie Gilam’esh endlich fand, hatte der eine andere Geliebte: E’fah. Und weil Xij inzwischen eine eigene Identität entwickelt hatte, die unabhängig von Manil’bud war [1] , entschied sie sich gegen Gilam’esh und für Matthew Drax.
Darum will Manil’bud Matt töten und sich gleichzeitig an mir rächen. Sie hat diesen Groll lange vor mir verborgen, aber der Einfluss des Streiters bringt ihn jetzt zutage.
Xij dachte an den Moment zurück, da sie ihrem anderen Ich begegnet war. Obwohl es zu keiner körperlichen Berührung gekommen war, hatte sie doch etwas gespürt: Manil’buds Präsenz. Oder war das nur Einbildung gewesen?
Nein, dachte sie. Es gab eine Reaktion. Als hätte Manil’buds Geist auch mich gespürt.
War es also doch möglich, mit seinem alternativen Ich Kontakt aufzunehmen... und so den Zeitablauf
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